Emscherumbau im Kreis Recklinghausen

Auf dem Weg zur blauen Emscher

Von der Köttelbecke zurück zum sauberen Bachlauf


Bisher hatte unser Ruhrgebiet ein weltweit in Industrieregionen gültiges Alleinstellungsmerkmal, tiefe offene Abwasserkanäle mit schwarzer, stinkender Brühe. Der Plan, diesen Missstand zu beseitigen, klingt verwegen. Das heißt, Emschergenossenschaft und Lippeverband sind schon seit etwa 30 Jahren dabei, genau dies in ihrem Bereich zu tun.

Sie haben es sich zum Ziel gesetzt, das unansehnliche Abwassersystem in der Region unter die Erde zu verlegen.  Die Abwässer aus Gewerbe und Privathaushalten werden in getrennten unterirdischen Kanalsystemen abgeleitet, während Regen- und sonstiges Oberflächenwasser wieder in neu hergestellten Bach- und Flussläufen mit angrenzenden Grünflächen oberirdisch fließen darf. Damit wird es mit dieser Besonderheit der „Köttelbecken“ bald ein Ende haben. Die Bachläufe werden verschönert, sie werden wieder in naturnahe Bäche verwandelt, die Geruchsbelästigung wird verschwinden. Aus dem einstigen Hinterhof des Reviers wird sein neuer Vorgarten, das städtische Mikroklima wird erheblich verbessert, was die Stadtteile entlang der Gewässer erheblich aufwerten wird. Die Flussbettmacher verweisen vor allem auf die kühlende Wirkung der Gewässer. Wie das aussehen kann, kann man heute bereits am Deininghauser Bach in Castrop-Rauxel oder am Breuskes Mühlenbach in Recklinghausen erleben. Diese sorgsam durchgeplanten Gewässer wären dann sozusagen Flussparadiese aus dritter Hand.
Die Emscher-Lippe-Region ist durch Landwirtschaft und Bergbau geprägt worden; das bedeutet verständlicherweise Eingriffe in die Landschaft. Insbesondere der Bergbau hat in seiner aktiven Zeit für eine drastische Veränderung der Fließgewässerlandschaft vor Ort gesorgt. Bergsenkungen und die große Menge der Abwässer machten es in der Vergangenheit unmöglich, sie in unterirdischen Kanälen zu entsorgen. Es entstanden die offenen Formen der oberirdischen Abwasserentsorgung in Betonbachkanälen.

Umgangssprachlich ist im Ruhrgebietsvolksmund die Bezeichnung „Köttelbecke“ für ein ehemals natürliches, aber in heutiger Zeit kanalisiertes Fließgewässer gebräuchlich. Die Bäche in unserem näheren Umfeld haben durch die örtliche Bevölkerung diesen leicht humoristischen Namen bekommen. Aus ökologischen Gründen und zur Umfeldverbesserung wird seit einigen Jahren versucht, die Sünden der Vergangenheit durch einen naturnahen Umbau vom Abwasserkanal zum munteren kleinen Bächlein eine Wiedergutmachung vor Ort zu erbringen.

Lange Zeit schien diese Art der oberirdischen Abwasserentsorgung in kanalisierten Fließgewässerbetonschalen, oft mit einer starken Geruchsbelästigung einhergehend, bei Kontakt mit menschlicher Haut gesundheitsgefährdend und aus Sicherheitsgründen eingezäunt, wohl die einzige Möglichkeit eine Bergbau industrielle Wirtschaftsentwicklung umzusetzen. Die Zerstörung der örtlichen Fließgewässer nach menschlichen Nutzungsansprüchen hat man billigend in Kauf genommen. Die Fehler der Vergangenheit erschweren in heutiger Zeit den Umbau je nach den Gegebenheiten vor Ort. Die Vernichtung intakter Fließgewässerquellen, Veränderung des Grundwasserstromes, Land- und Forstwirtschaft in ehemaligen Auenbereichen und die Ausbreitung des Menschen im Allgemeinen durch Wohnbebauung und Gewerbeansiedlungen machen eine Renaturierung der Bäche oft nicht möglich.

Die Metamorphose vom naturnahen Bach in der kleinbäuerlich strukturierten Kulturlandschaft zum Abwasservorfluter in der heutigen vom Bergbau geprägten Industrienatur lässt sich in vier Schlagwörtern umschreiben: Vertiefung, Begradigung, Verkürzung und Eindeichung. Die Regulierungsmaßnahmen für den Dattelner Mühlenbach begannen ca. 1925, bergbaubedingte Anpassungen erfolgten bis ca. 1980.

Den häufig gebrauchten Begriff „Renaturierung“ sollte man aus fachlichen Gründen vermeiden und eher von einer naturnahen Umgestaltung oder Ausbau sprechen. Ein „Zurück in den Urzustand“ wie es die Begriffsbezeichnung Renaturierung suggeriert, ist meist unmöglich. Wenn intakte Fließgewässersysteme erst einmal zerstört sind, dann ist dieser Zustand unwiderruflich. Der Lippeverband ist bestrebt, das Bestmögliche vor Ort zu erreichen. Wie diese Ziele im Endeffekt erreicht werden, bleibt der breiten Öffentlichkeit zumeist verborgen. Die Bergbaugeschichte ist in unserer Stadt Vergangenheit, darum sind keine Bergsenkungen vor Ort mehr zu erwarten. Somit kann man das Abwasser in Rohre verbannen. Maßnahmen zur unterirdischen Abwasserbeseitigung werden in der Regel vor den naturnahen Umgestaltungen durchgeführt.
In Anlehnung an einen Beitrag von © Michael Korn: Die Verwandlung vom Abwasservorfluter zum Bach  (http://www.nabu-gladbeck.de/Koettelbecken-ade.565.0.html)

Die Emscher ist die Mutter aller „Köttelbecken“, wie die kanalisierten Bäche und Flüsse des Ruhrgebiets im Volksmund genannt werden. Der geschundene Fluss wurde begradigt, um die ungeklärten Abwässer der Bergbaus, der Industrie und der Kommunen schnell in den Rhein abtransportieren zu können. Durch die Bergsenkungen muss auf ewige Zeiten eine Vielzahl von Nebenflüssen in die Emscher hochgepumpt werden.
Nach der Nordwanderung des Bergbaus und dem Nachlassen der Bergsenkungen konnte man damit beginnen, das System grundlegend  zu verändern: Das Abwasser wird in unterirdische Kanäle verbannt und die vorhandenen Wasserläufe naturnah umgestaltet. Tiere und Pflanzen erhalten hier einen neuen Lebensraum. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Stärkung des natürlichen Wasserkreislaufes in dieser hoch versiegelten Region: Regenwasser soll nicht mehr direkt in die Kanalisation geleitet werden, sondern über Versickerungsflächen dem Grundwasser und den Bächen zugeführt werden. Die Emschergenossenschaft bemüht sich, den Fluss und die Bachzuflüsse im Rahmen des Projekts Umbau des Emschersystems – so weit möglich – zu „renaturieren“, zu revitalisieren.

Mittlerweile verfügt der Verband über einige Erfahrung in der „Renaturierung“ ehemaliger Köttelbecken. Die Experten wissen, dass das Wasser selbst zahlreiche Pflanzen mitbringen wird. Deshalb überlässt man die fertiggestellten Bachläufe weitgehend der Natur. Als Starthilfe gibt es nur etwas Schilf, die Erfahrung hat nämlich gezeigt, wenn man zu viel pflanzt, sieht man später den Bach nicht mehr.  Das ist so auch an den bereits fertiggestellten Bächen geschehen. Bereits nach zwei, drei Jahren verschwand dort das Wasser tatsächlich unter einer dichten grünen Decke.

Das gleiche Anliegen verfolgt auch die Lippeverband für den Bereich der Städte Waltrop, Datteln, Oer-Erkenschwick, Marl, Haltern und Dorsten, die ihr Oberflächenwasser über zahlreiche Bäche in die Lippe leiten.
Dieser ökologische Umbau des Emschersystems, die Befreiung der Emscher und ihrer Nebenläufe von Schmutzwasser, besteht aus dem Aufbau eines zentralen Abwasserklärsystems im Ruhrgebiet, dem Bau von unterirdischen Abwasserkanälen, der Sicherung des Hochwasserschutzes und der „Renaturierung" der Emscher und ihrer Nebenflüsse. Er begann 1992 und soll Ende 2021 abgeschlossen sein. Das Investitionsvolumen des Gesamtprojekts beträgt rund 5,4 Mrd. Euro.
Die beiden Faultürme der Kläranlage Dortmund-Deusen stellen eine weit sichtbare Landmarke dar.
Diese Kläranlage war die erste Anlage, die im Rahmen des Emscher-Umbauprogramms 1994 fertig gestellt wurde.

Für die Gewässergestaltung wurden Konzepte erarbeitet, die es dem Fluss im Rahmen der vielfältigen Umfeldbedingungen erlauben, wieder zu einem funktionierenden Gewässerökosystem mit typischen Strukturen und typischer Vegetation zu werden. Im Kreis Recklinghausen erstrecken sich diese Maßnahmen mit ihren gewaltigen Erdarbeiten auf Bachläufe in den Städten Waltrop, Castrop-Rauxel, Recklinghausen, Herten und Gladbeck. So soll der Verlauf der Gewässer, wo dies die Bebauung erlaubt, wieder leitbildgemäß schwingen, die Profile aufgeweitet, bepflanzt und gestaltet und das Abflussregime der Neuen Emscher wieder stärker in Richtung der natürlichen Verhältnisse entwickelt werden. Ein wesentlicher ökologischer Aspekt ist dabei die Verstetigung der Abflüsse.
Der Deininghauser Bach im September 2003 und im April 2020
Beste Beispiele für die Umsetzung dieser Pläne sind die Maßnahmen am Oberlauf des Deininghauser Baches und am Hochwasser- Rückhaltebecken zwischen Mengede und Ickern. Auch wenn im Mittel- und Unterlauf der Emscher nur begrenzte Flächen für eine Aufweitung des Flussprofils zur Verfügung stehen, sind auch hier sowohl Verlegungen als auch Deichrückverlegungen in die Betrachtung einbezogen. Generell ist es das Ziel, auch in Abschnitten mit geringem Raumangebot Verhältnisse zu schaffen, die bei Niedrig- bis Mittelwasser sowie kleineren Hochwassern eine gewässertypische Besiedlung mit leitbildgemäßen Arten ermöglichen.

Auf der 35 Kilometer langen Strecke von Dortmund-Deusen bis Bottrop sind die Arbeiten am Umbau der Emscher und ihrer Nebenarme schon sehr weit fortgeschritten: Im Rahmen des gigantischen und lobenswerten Rückbauprogramms schreitet die schrittweise Inbetriebnahme des großen unterirdischen Abwasserkanals Emscher (AKE) zügig voran. Anfang 2020 waren bereits 14 seitliche Abwassereinleitungen aus den Kommunen an den AKE angeschlossen, unter anderem in Dortmund der Nettebach, der Kreyenbach, der Bodelschwingher Bach und der Herrentheyer Bach sowie in Castrop-Rauxel der Landwehrbach mit dem ihm zufließenden Deininghauser Bach, in Recklinghausen der Hellbach mit dem ihm zufließenden Breuskes Mühlenbach und in Herne der Ostbach. im Laufe des Jahres 2020 werden zehn weitere Seiteneinleitungen folgen, unter ihnen der Suderwicher Bach in Recklinghausen und der Resser Bach in Herten. Und mit jedem Anschluss einer seitlichen Einleitung wird die Emscher ein Stück sauberer; denn dadurch fließt das Abwasser anstatt in den Fluss dorthin, wo es hingehört: in den unterirdischen Abwasserkanal.
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