Von Benjamin Kübart Redakteur , Dattelner Morgenpost , 23.11.2023
Damit der Staat Uniper retten darf, muss Datteln 4 verkauft werden. Ein Gerichtstermin könnte sich auf den Preis auswirken.
Uniper-Direktor Stefan Bünte hat im Hauptausschuss der Stadt Datteln über den anstehenden Verkauf des Kohlekraftwerks Datteln 4 berichtet. Der Staat übernahm im vergangenen Jahr 99 Prozent der Uniper-Anteile, um das Unternehmen zu retten. Die EU erlaubte die Milliardenhilfen unter der Bedingung, dass der Konzern Teile seines Geschäfts verkauft – darunter das Kraftwerk und die Fernwärmesparte „Uniper Wärme“. „Wir gehen davon aus, dass wir Uniper Wärme 2025 verkaufen werden“, erklärte Bünte. Bei Datteln 4 rechnete Uniper laut Bünte mit einem Verkauf im Jahr 2026.
Das Oberverwaltungsgericht Münster hatte den Bebauungsplan für das Kraftwerk 2021 für unwirksam erklärt, weil nicht intensiv und großräumig genug nach besser geeigneten Standorten gesucht worden sei. Das Bundesverwaltungsgericht Leipzig ließ Revision gegen das Urteil zu: Am 6. Dezember soll dort über die Anlage entschieden werden. Sollte das Gericht den Bebauungsplan für nichtig erklären, „dann liegt der Ball bei der Bezirksregierung. Sie kann entscheiden, das Kraftwerk stillzulegen“, erklärte Bünte.
„Gibt es einen Plan B was den Verkauf angeht?“, fragte Ausschussmitglied Markus von Gilardi. „Keiner würde ein Kraftwerk kaufen, von dem er nicht weiß, wie die Zukunft gestaltet ist.“ Bünte antwortete: „Das wäre nicht gut für den Kaufpreis, das kann ich Ihnen sagen.“
Großprojekt Verhandlung
Von Markus Weßling Redakteur , Dattelner Morgenpost, 11. April 2023
Der Gerichtstermin für die Entscheidung übers Dattelner Kraftwerk steht. Menschen in Datteln, Waltrop und Oer-Erkenschwick werden gespannt nach Leipzig blicken.
Werden die Gegner des Dattelner Uniper-Kraftwerks-Standorts mit einer Gerichtsentscheidung beschert, die das finale Aus für das Milliardenprojekt bedeuten würde? Oder geht das juristische Tauziehen noch einmal weiter, das die Menschen in Datteln, Waltrop und Oer-Erkenschwick seit Jahren verfolgen? Der Termin der Entscheidung steht.
Am Nikolaustag, dem 6. Dezember, wird das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig verhandeln. Wir erklären, worum es geht: Eigentlich schienen die Gegner des Dattelner Kraftwerksstandortes im August 2021 schon gewonnen zu haben. Denn das Oberverwaltungsgericht (OVG) in Münster hatte den Bebauungsplan für die Anlage am Dortmund-Ems-Kanal für nichtig erklärt, weil nicht intensiv und großräumig genug nach besser geeigneten Standorten für die Anlage mit dem 180-Meter-Kühlturm gesucht worden sei.
So sah es im August 2021 in Münster aus: Die Eheleute Greiwing aus Waltrop freuten sich
mit ihrem Anwalt Philipp Heinz über das Urteil des OVG. © Weßling (Dattelner Morgenpost)
Um 9 Uhr wird mündlich verhandelt
Gegen das Urteil hatte das höchste Verwaltungsgericht des Landes NRW keine Revision zugelassen, doch dagegen wiederum kann man Beschwerde einlegen. Und die hatte vor einigen Wochen Erfolg. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig nimmt sich nun der Sache an und lädt am besagten 6. Dezember, 9 Uhr, zu einem mündlichen Verhandlungstermin.
Rainer Köster fährt nicht nach Leipzig
Dann geht es darum, ob die Revision Erfolg hat. Also darum, ob das von Klägern erkämpfte Urteil des OVG Münster hält oder ob das Gericht Fehler gemacht hat, die zur Aufhebung des Urteils und dann wohl ztur Zurückverweisung der Angelegenheit nach Münster führen würden. Was zu einer erneuten Verlängerung des gefühlt schon ewig dauernden Rechtsstreites führen würde.
Rainer Köster wird nicht selbst nach Leipzig fahren. „Die ganze Sache ist juristisch so hoch spezialisiert, dass ich da als Laie nicht viel beitragen könnte“, sagt der Anwohner der Dattelner Meistersiedlung und Kraftwerks-Kläger. Bei Rechtsanwalt Philipp Heinz aus Berlin weiß er, ebenso wie ebenfalls klagenden Oberwieser Eheleute Greiwing, seine Interessen in besten Händen.
Ein Kläger beurteilt die Lage unterdessen anders
Während die Rechtsvertreter der Kläger betonen, dass sie weiter von einem Erfolg in der Sache ausgehen und die Revision nur zu einer Verzögerung führt, malt sich Köster auch das andere Szenario aus: „Wenn das Ganze nochmal von vorne losgeht, ich weiß nicht, ob wir dann noch dabei sind.“
Er ist inzwischen 75 Jahre alt, einige seiner Mitstreiter aus der Anfangszeit sind mittlerweile verstorben. Köster sagt, auch er sehen die aktuellen energiepolitischen Notwendigkeiten durch den Ukraine-Krieg und würde jetzt nicht für eine sofortige Stilllegung der Anlage auf die Straße gehen. Sein Punkt war stets der, auf den auch das Oberverwaltungsgericht in seinem Urteil abgehoben hatte: dass das Kraftwerk schlicht nicht am richtigen Standort gebaut worden sei, viel zu nah an der Wohnbebauung.
Rainer Köster (hi.), einer der Antragsteller im Normenkontrollverfahren, ist, anders als hier 2021 in Münster,
beim Verhandlungstermin in Leipzig nicht selbst dabei. © Weßling (Dattelner Morgenpost)
Das OVG vertritt ebenfalls die Ansicht: Je stärker die Auswirkungen eines solchen Projektes auf Mensch und Umwelt, desto gründlicher muss man nach einem geeigneten Standort suchen. Die Stadt Datteln und der Kraftwerksbetreiber wollten aber faktisch nur den Standort des Kraftwerks am Kanal nachträglich legitimieren, das schon fertig gebaut war. So einfach geht das nicht, sagte das Gericht.
Es geht wohl um generelle Kriterien für Standort-Suche
Es gilt als unwahrscheinlich, dass die Leipziger Kollegen das anders sehen. Wahrscheinlicher ist, dass an dem Dattelner Beispiel aufgezeigt werden soll, welche Kriterien generell bei der Standort-Suche für Großanlagen gelten sollen.
Für Datteln geht es indes um nicht weniger als darum, ob das Kraftwerk stehen bleiben oder abgerissen werden muss. Denn für den Fall, dass letztinstanzlich entschieden werden sollte, dass die Anlage dort nicht stehen darf, hatte sich das Uniper-Vorgängerunternehmen im Gegenzug für eine vorzeitige Baugenehmigung dazu verpflichtet, die Anlage wieder abzureißen – auf eigene Kosten. Damals hatte man wohl nicht damit gerechnet, dass dieses Szenario eines Tages realistisch sein könnte.
Energie Kohlestrom
Von Markus Weßling, Dattelner Morgenpost, 25. Dezember 2022
Der Abriss des Kraftwerks Datteln 4 schien bevorzustehen. Doch 2022 brachte eine neue juristische Wendung, der Ukraine-Krieg ein neues Stimmungsbild und das Jahresende nochmal einen Paukenschlag.
Der Paukenschlag kam ganz am Jahresende: Das Uniper-Kraftwerk muss verkauft werden, damit Milliardenhilfe für den wegen der Gas-Lage angeschlagenen Besitzer Uniper fließen kann. Das passende Finale für ein Kraftwerks-Jahr, in dem auch sonst fast nichts an unerwarteten Wendungen ausgelassen wurde.
Unipers Steinkohlekraftwerk Datteln 4 unterm Regenbogen. © Peter Friedrich
Anhand einer geometrischen Figur lässt sich am besten erklären, was sich im Jahr 2022 getan hat hinsichtlich Datteln 4 – jenes Kraftwerks-Kolosses, dessen 180 Meter hoher Kühlturm im Ostvest weithin sichtbar ist. In Waltrop sowieso, aber auch zum Beispiel in Oer-Erkenschwick. Die Figur ist ein Dreieck, genauer: das energiepolitische Dreieck. Bei Entscheidungen in der Energiepolitik gibt es drei Faktoren, die die Ecken dieser Figur bilden und die alle, theoretisch jedenfalls, gleich wichtig sind. In der einen Ecke: die Klima- und Umweltverträglichkeit. In der zweiten: die Versorgungssicherheit. Und schließlich in der dritten: die Bezahlbarkeit.
Am 24. Februar hat Wladimir Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen. Das hat auch im Löringhof im fernen Datteln die Gewichte innerhalb des Dreiecks plötzlich verschoben. Dass von heute auf morgen Züge stillstehen, wenn Datteln 4 keinen Bahnstrom mehr liefert, diese alte Rechtfertigung fürs umstrittene Kraftwerk schien längst ein Argument aus der Mottenkiste zu sein. Es war ja auch unter den damaligen Bedingungen widerlegt. Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit von Energie: Wer sich mit diesen Gründen für Datteln 4 aussprach, fand noch bis Anfang dieses Jahres eher wenig Gehör. Das konnte man auch anders sicherstellen.
Umso mehr zählten die Klima-Argumente, die gegen das Kraftwerk zu sprechen schienen. „Fridays for Future“ gewann an Einfluss. Von höherer Effizienz dieses modernen Kraftwerks im Vergleich zu den alten Mühlen wollten sie dort nichts hören, für sie war es komplett aus der Zeit gefallen, angesichts des bevorstehenden Kohleausstiegs nun dieses riesige Kraftwerk noch ans Netz zu nehmen. Noch gar nicht so lange ist es also her, dass Datteln 4 zum neuen „Hambacher Forst“ zu werden schien. Sprich: in den Haupt-Fokus der Klimabewegung geriet, mit ihren umstrittenen Protestaktionen, die teils bundesweit Schlagzeilen machten.
Und dann das: Ausgerechnet als mit Robert Habeck ein grüner Bundeswirtschaftsminister ins Amt kommt, verschiebt der Krieg die Akzente. Plötzlich ist die Frage: Woher bekommen wir unsere Energie jetzt überhaupt, und zu welchem Preis? Umwelt- und Klimaschutz-Fragen müssen zurücktreten. Wer damit in einschlägigen Facebook-Gruppen kommt, kassiert schnell verbale Prügel.
Dr. Thomas Krämerkämper vom Umweltverband BUND ist mit der Linie des grünen Wirtschaftsministers Habeck überhaupt nicht einverstanden. Zu allem Überfluss schien der Minister jetzt auch noch Kraftwerks-Besitzer zu werden. Im Zuge der Gaskrise wird Betreiber Uniper verstaatlicht. Allerdings nun doch ohne das Kraftwerk – siehe oben.
Plötzlich steht auch ein Aspekt wieder im Fokus, der über Jahre ausgeblendet wurde: Auch wenn die Verbindungen zu Putins Russland gekappt werden, so sind doch auch die anderen Kohle-Lieferländer vielfach keine Vorbilder hinsichtlich Demokratie, Menschenrechten und Abbaubedingungen. Beispiel Kolumbien. Aber wer will das so genau wissen? Der Zeitgeist ist plötzlich ein ganz anderer. Kohlekraftwerke? Ja, bitte! Und das Dattelner Kraftwerk steht nun schonmal da, also lasst es halt auch laufen. So reden viele. Die Klimabewegung konzentriert sich derweil erstmal auf Lützerath im Kreis Heinsberg, ein Dorf, das man nicht dem Braunkohle-Tagebau preisgeben will. Mitte Januar steht die Räumung des Ortes bevor.
Parallel läuft hinsichtlich Datteln 4 derweil jenes juristische Schauspiel weiter, gegen das sich ein Kaugummi wie ein unflexibles Gebilde ausnimmt. Hier geht es um keines der Ecken unseres Dreiecks, nicht um Versorgungssicherheit, nicht um den Preis, auch nicht – jedenfalls nicht für die Richter des Oberverwaltungsgerichts in ihrem Urteil entscheidend – um Umwelt- und Klimaaspekte. Auch wenn das juristische Verfahren von interessierter Seite natürlich immer wieder mit diesen Themen aufgeladen wird.
Es geht um etwas ganz anderes, und diese durchaus lokale Debatte wurde schon geführt, als Fridays-for-Future-Greta Thunberg noch ein Kleinkind war: Steht das Kraftwerk am richtigen Platz, so nah an der Wohnbebauung in der Dattelner Meistersiedlung? Oder bekommen Rainer Köster aus Datteln und die Eheleute Greiwing aus Oberwiese als Kläger doch final Recht? Vergangenes Jahr sah das so aus. Das OVG hatte, grob verkürzt, gesagt: Je größer die Auswirkungen eines solchen Projektes sind, desto weiträumiger muss man nach einem verträglichen Standort suchen. Das aber hat man nach Überzeugung der Richter auch im zweiten Anlauf nicht getan. Es war vielmehr eine Pseudo-Suche: Man „prüfte“ Alternativen, nur um festzustellen: Der beste Ort fürs Kraftwerk ist dort, wo es schon steht. Das ließ das Gericht so nicht durchgehen.
Also, nach jahrelangem Streit, der Abriss des milliardenteuren Baus? Der müsste auf Kosten des Betreibers geschehen, so hatte es der damalige Besitzer Eon seinerzeit für den Fall einer finalen Gerichtsentscheidung gegen das Projekt unterschrieben, um vorzeitig mit dem Bau loslegen zu können. Dass ein Kraftwerk, das auf nicht dafür genehmigtem Grund steht, auch seine Betriebserlaubnis verlieren würde, schien nach dem Urteil nur Formsache. Eine Revision wurde nicht zugelassen. Die Kraftwerksgegner frohlockten. Doch dann, Mitte Oktober, noch eine Volte: Die Bundesverwaltungsrichter in Leipzig sagen auf eine entsprechende Beschwerde hin: Revision gibt‘s doch. Also: Noch eine juristische Runde. Die wievielte eigentlich?
Ein Ausblick darauf, wie es 2023 mit dem Kraftwerk weitergehen könnte? Wer das Projekt über all die Jahre verfolgt hat und alleine die Wendungen sieht, die es 2022 erfahren hat, der hält sich damit wohl besser zurück.
Kohlestrom Fernwärme
von Markus Weßling, Dattelner Morgenpost, 21. Dezember 2022
Das umstrittene Kohlekraftwerk in Datteln bekommt seinen dritten Eigentümer: Damit der angeschlagene Betreiber Uniper Milliardenhilfen bekommen kann, muss er sich von der Anlage trennen.
Das kommt überraschend: Das Uniper-Kohlekraftwerk am Dortmund-Ems-Kanal in Datteln muss verkauft werden. Die EU-Kommission hat die deutschen Milliardenhilfen für den angeschlagenen Gasimporteur genehmigt, hat aber den Verkauf von einer Reihe von Geschäftsbereichen zur Bedingung gemacht. Dazu gehört auch das moderne, erst 2020 in Betrieb genommene Kohlekraftwerk, das rechtlich auf höchst wackeligen Füßen steht und ohnehin spätestens im Zuge des Kohleausstiegs 2038 vom Netz muss. Bis 2026 müssen die betreffenden Geschäftsteile verkauft werden.
Das Dattelner Kraftwerk, das Anwohner und Klimaschützer seit langem bekämpfen, bekäme damit schon den dritten Eigentümer in seiner kurzen Geschichte: Gebaut hatte die Anlage ursprünglich seit 2007 die Eon Kraftwerke GmbH. Uniper entstand später durch Abspaltung des konventionellen Erzeugungs-Geschäfts. Seit 2020 gehörte Uniper mehrheitlich dem finnischen Energieunternehmen Fortum.
Vor einiger Zeit hatte ein ehemaliger Unternehmensinsider der Zeitung „Handelsblatt“ gesagt, falls Uniper Datteln 4 abstoßen müsse, sei das „eine politische Entscheidung“ und „strategisch nicht unbedingt verständlich“. Er schätzte, dass Uniper mit dem Verkauf des Steinkohlekraftwerks womöglich zwischen 700 Millionen und einer Milliarde Euro erlösen könnte. Wenn Uniper gezwungen werde, das Kraftwerk zu verkaufen, wirke sich das negativ auf den Verkaufspreis aus, weil Käufer wüssten, dass Uniper verkaufen muss. Während ein Gaskraftwerk in Ungarn, das Uniper ebenfalls loswerden muss, als gut und schnell verkäuflich gilt, fragt sich, wer die Dattelner Anlage überhaupt haben will.
Das Oberverwaltungsgericht Münster hatte jüngst den Bebauungsplan für das Kraftwerk, das am Stadtrand in der Nähe einer Wohnsiedlung gebaut wurde, auch im zweiten Anlauf für unwirksam erklärt. Nach Überzeugung des Gerichts wurde vor dem Bau nicht ausreichend nach Standort-Alternativen gesucht.
Das schien das Aus für das Milliardenprojekt zu bedeuten, jüngst wurde allerdings doch noch Revision gegen das Urteil zugelassen.
Klar dürfte in jedem Fall sein: Der Bau und Verkauf dieses letzten neuen Kohlekraftwerks in Deutschland bringt den Besitzern Verluste in vermutlich dreistelliger Millionenhöhe. Eon hatte die reinen Bau- und Planungskosten ursprünglich mit 1,2 Milliarden Euro beziffert. Der Rechtsstreit und das jahrelange Brachliegen der 1050-Megawatt-Anlage brachte weitere Kosten in dreistelliger Millionenhöhe. Und nun der Zwangsverkauf…
Das Kraftwerk steht nah an der Dattelner Wohnbebauung, was seit Jahren einer von zahlreichen Gründen für Klagen gegen die Anlage mit ihrem 180 Meter hohen Kühlturm ist. Pikant: Falls ein Abriss juristisch unabweisbar ist, hatte sich seinerzeit Eon verpflichtet, die Kosten dafür zu tragen, um trotz der anhängigen Klagen vorzeitig mit dem Bau beginnen zu können. Diese Verpflichtung träfe auch den neuen, den dritten, Besitzer der noch jungen Anlage.
Auch das deutsche Fernwärmegeschäft gehört zu den Unternehmensteilen, die Uniper verkaufen muss. Große Teile Dattelns, darunter auch die weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannte Vestische Kinderklinik, werden mit Uniper-Fernwärme versorgt. Ebenso wird Fernwärme von Datteln 4 unter anderem nach Recklinghausen geleitet. Unsere Redaktion erreichten bereits erste sorgenvolle E-Mails von Fernwärmekunden, die sich nun Sorgen um den Preis und die Versorgungssicherheit machen.
Am 12.10.2022 lassen die Richter am Bundesverwaltungsgericht in Erfurt – auf die Beschwerden des Betreibers Uniper und der Stadt Datteln – die Revision gegen die Urteile des OVG Münster vom 26.08.2021 zu. Die höchsten deutschen Verwaltungsrichter sehen eine „grundsätzliche Bedeutung“ der Materie und wollen sich der Sache selbst annehmen.
Rainer Köster (75) klagt seit 13 Jahren gegen Datteln 4:
„Irgendwann muss Schluss sein“
Von Fabian Hollenhorst, Dattelner Morgenpost, 18. Oktober 2022
Er ist weiterhin „Gegner“ des Kraftwerks Datteln 4 – Im Jahr 2009 reichte er die bis heute laufende Klage ein. Heute sagt Rainer Köster aber: „In der jetzigen Zeit ist das Kraftwerk zu wichtig.“
Mindestens ein Jahr lang wird Rainer Köster also noch auf ein Urteil warten müssen, das rechtssicher angibt, ob das Kraftwerk Datteln 4 an Ort und Stelle am Dortmund-Ems-Kanal stehen darf – überhaupt hätte gebaut werden dürfen. Vielleicht dauert es auch noch länger. „Den Fall des Kühlturms werde ich nicht mehr erleben“, hatte er bereits 2021 gesagt, als eigentlich gefeiert werden durfte.
Denn gerade erst hatten die „Gegner“ Recht bekommen – das Oberverwaltungsgericht in Münster erklärte den Bebauungsplan 105a für das Kraftwerk Datteln 4 für unwirksam. Das Ziel schien erreicht, es wurde in der Postkutsche in Datteln gefeiert, auch wenn ein Antrag auf Revision da natürlich schon erwartet wurde. Daher auch die zurückhaltenden Worte von Köster im Hinblick auf den Abriss. Denn zu diesem hatte Uniper-Vorgänger Eon sich im Zuge eines schnellen Baustarts verpflichtet, falls das Kraftwerk nicht auf rechtssicherem Boden stehen sollte.
Ein Jahr später zeichnet sich ein komplett anderes Bild. Die lautstarken Töne gegen das Kraftwerk Datteln 4 sind in den aktuellen Energiekrise-Zeiten leise geworden. Selbst Rainer Köster hält Datteln 4 aktuell für „wichtig“, auch wenn er weiterhin von seinem Recht und dem falschen Standort überzeugt ist. „Wir demonstrieren nicht gegen die Entscheidung, die Revision zuzulassen“, sagt der pensionierte Polizist. „Wir wären aber auch nicht auf die Straße gegangen, wenn sie nicht zugelassen worden wäre.“
Es sind schwierige Zeiten, um über das letzte ans Netz gebrachte Kohle-Kraftwerk in Deutschland diskutieren. Schließlich sehen auch die Gegner wie Rainer Köster den aktuellen Bedarf. Und bei der aktuellen juristischen Diskussion gehe es eben nicht um die von ihm viel beklagten Abstände zur Wohnbebauung oder die ausgestoßenen Schadstoffe und auch nicht um die Notwendigkeit der Strom- und Fernwärmeproduktion. „Sondern um die grundsätzliche Frage, wie ein Standort für ein Kraftwerk zu suchen ist“, fasst Köster zusammen.
Wer profitiert also nun davon, dass die Entscheidung über den Fortbestand von Datteln 4 verschoben ist? „Die Regierung“, antwortet Köster. „Mich würde es nicht wundern, wenn das Bundeswirtschaftsministerium Einfluss genommen hätte.“ Uniper – und damit auch das Kraftwerk Datteln 4 – gehört mittlerweile bekanntlich dem Staat. „Und damit nicht nur unserem Wirtschaftsminister Robert Habeck, sondern zum Teil auch mir“, sagt Köster schmunzelnd. „Deshalb demonstriere ich auch nicht, ich bin ja Mit-Eigentümer.“
Rainer Köster macht keinen Hehl daraus, dass er mit dem Aufschub durch das Revisionsverfahren „ganz gut“ leben kann. Aber für ihn und seine Mitstreiter von der IG Meistersiedlung hat das natürlich Folgen: „Die Revision kostet uns eine Menge Geld“, sagt er. Er könne die Mitglieder verstehen, die jetzt sagen: „Rainer, irgendwann muss Schluss sein, jeden Monat Geld dafür zu zahlen.“ Jedes Mitglied leistet einen Beitrag, um den Rechtsstreit gegen Datteln 4 zu finanzieren.
Rainer Köster (hi.) vor der Verhandlung am Oberverwaltungsgericht in Münster im Gespräch mit den Eheleuten Greiwing aus Waltrop, die schon 2009 vor Gericht Erfolg hatten. © Weßling
„Halte die Leute mal so lange bei der Stange, ich kann sie verstehen“, sagt Rainer Köster. Schließlich wird alles teurer, jeder schaut auf seine Ausgaben – und der 13 Jahre lange Kampf scheint aufgrund der aktuellen Ereignisse noch lange nicht zu Ende. Zuletzt unterstützte die Organisation „Client Earth“ bei den Gerichtskosten. Ebenso wie weitere private Unterstützer. Ob das weiterhin der Fall sein wird, das weiß Köster noch nicht.
Eins steht aber fest: Köster ist weiterhin von seinem Recht überzeugt. „Das Kraftwerk dort zu bauen, hat mich damals wie heute geärgert“, sagt er. „Und deswegen klage ich.“
Der Staat als Eigentümer
Muss man das Unternehmen Uniper in der Gaskrise wirklich retten? Der Castrop-Rauxeler Dr. Thomas Krämerkämper von Umweltverband BUND sagt mit Blick aufs Kraftwerk Datteln 4: Muss man nicht!
von Markus Weßling, Dattelner Morgenpost, 23. September 2022
Dr. Thomas Krämerkämper, Mitglied des Landesvorstands des Umweltverbandes BUND, ist ein Freund klarer Worte. Auch, was die bevorstehende Uniper-Verstaatlichung und ihre Folgen fürs Kraftwerk Datteln 4 angeht. Der Energie-Fachmann fragt provokant, warum man denn das Unternehmen, das auch das Kraftwerk betreibt, als Ganzes retten müsse. „Warum lässt man es nicht insolvent gehen?“ Die „fossilen Strukturen“, sprich: Kohlekraftwerke wie Datteln 4, müssten vom Markt verschwinden. Es sei also letztlich gewünscht, dass sie pleite gehen. Wer den ökologischen Umbau wolle, der dürfe „das Scheitern solcher Strukturen nicht mit Staatseingriffen verhindern“. Man könne ja dann die zukunftsfähigen Unternehmensteile weiterführen.
Im Grunde ersetze man bei Uniper ohnehin nur einen Staat durch einen anderen als Eigentümer. Seit März 2020 ist Fortum Mehrheitseigentümer von Uniper, und dessen Mehrheitseigentümer wiederum ist der finnische Staat. Und obwohl Finnland eine sehr viel fortschrittliche Energiepolitik betreibe als Deutschland, habe selbst das, was das vom BUND so sehnlich gewünschte Ende des Dattelner Kraftwerks angeht, auch nicht die große Wende gebracht, so Krämerkämper.
Was durch eine Verstaatlichung von Uniper jetzt überhaupt besser werde, habe ihm noch niemand plausibel machen können. Wenn aber nun schon der Staat Eigentümer des Kraftwerks sei, dann erwarte er, dass er den Ausstieg schneller vorantreibe als im Kohlekompromiss vorgesehen. Der BUND-Fachmann will sich nicht allein darauf verlassen, dass die Klagen gegen das Kraftwerk schon zum Erfolg führen werden. Der Bebauungsplan wurde für nichtig erklärt, jetzt gibt es nur noch die Möglichkeit, dass das Bundesverwaltungsgericht eine Revision gegen das Urteil zulässt. Falls nicht, wäre das wohl das Aus fürs Kraftwerk. Wäre!
Krämerkämper fordert auch, dass der Staat als Eigentümer dann den Abriss des Kraftwerks schnell umsetzt und dass dann auch die Pläne für das Industrieareal newPark endgültig ad acta gelegt werden. Schließlich gibt es dann eine freie, bereits verkehrsmäßig erschlossene Industriefläche mehr in der Region.
Jan Matzoll, wirtschaftspolitischer Sprecher der Grünen im Landtag mit Wahlkreis in Oer-Erkenschwick und Recklinghausen, sagt derweil, die Verstaatlichung von Uniper habe sich in der Koalition niemand gewünscht, sie sei aber angesichts der Entwicklung auf dem Gasmarkt unvermeidlich.
Zwar ist nicht zu erwarten, dass der Staat als Eigentümer von Datteln 4 dessen Ende beschleunigt – Matzoll verweist auf das Gerichtsverfahren, das dem neuen Eigentümer solche Entscheidungen abnehmen könnte –, auf keinen Fall aber erwartet der Abgeordnete das Gegenteil, sprich eine Laufzeitverlängerung über die Vereinbarungen des Kohlekompromisses hinaus. Die Landesregierung hatte jüngst Eckpunkte für den Landesentwicklungsplan (LEP) beschlossen. Die werden als wichtiger Schritt für einen massiven Ausbau der Erneuerbaren Energien gesehen, der den Ausstieg aus der Kohle ermöglichen soll.
Milliarden-Abrisskosten mit verstaatlicht?
Wenn es ums Kraftwerk Datteln 4 geht, muss man mit jedweder Wendung rechnen. Die Neueste: Demnächst ist der Staat Eigentümer der Anlage. Und das zu Zeiten eines grünen Wirtschaftsministers.
von Markus Weßling, Dattelner Morgenpost, 22. September 2022
Das Musterbeispiel eines Formelkompromisses ist Legende: Die rot-grüne Landesregierung wollte 2010 über die Fortführung des Steinkohle-Blocks am Kraftwerksstandort Datteln allein die Gerichte entscheiden lassen. „Die Landesregierung selbst baut keine neuen Kraftwerke und reißt auch keine begonnenen Projekte ab“, hieß der Satz im Koalitionsvertrag. Das sollte den Weg zur Zusammenarbeit von SPD und Grünen ebnen, die in der Kraftwerksfrage uneins waren. Der damalige Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin, Ex-Bundesumweltminister, hatte zuvor das Kraftwerk bei einem Besuch vor Ort einen „Schwarzbau“ genannt und vollmundig gesagt, dass jeder, der mit den Grünen koalieren wolle, sich darauf einstellen müsse „dass dieses Investment nicht zu Ende gebaut wird“.
Am Ende blieb von diesen Worten, zur Enttäuschung der Grünen-Basis im Kreis Recklinghausen, nichts. Die Politik machte den Weg frei für ein „Zielabweichungsverfahren“, das das Projekt trotz einschlägiger Gerichtsurteile doch noch retten sollte, und wusch zugleich ihre Hände in Unschuld.
Zwölf Jahre später wird das nun nicht mehr funktionieren. Nicht das Land, sondern der Bund ist es jetzt, der über das Wohl und Wehe des Kraftwerks mit seinem 180 Meter hohen, weithin sichtbaren Kühlturm unmittelbar zu entscheiden hat. Es ist die neueste Volte in einem an Wendungen wahrlich nicht armen Streit um das Milliardenprojekt am Dortmund-Ems-Kanal in Datteln, nahe der Waltroper Stadtgrenze. Anwohner sagen, es stehe zu nah an der Wohnbebauung, Klimaschützer kritisieren es als „Dreckschleuder“.
Große Töne: Jürgen Trittin nannte das Dattelner Kraftwerk bei einem Ortsbesuch 2010 einen „Schwarzbau“.
Die örtlichen Grünen-Vertreter (hier Theo Beckmann neben Jürgen Trittin) hörten es gerne,
doch am Ende arrangierten sich die Landes-Grünen mit dem Projekt. Zum Ärger der Basis.
Nun also dies: Uniper, Betreiber des Kraftwerks und unter Druck angesichts der Gaskrise, wird verstaatlicht. Wieder ist es ein Grüner, der dann unmittelbar zuständig ist: Wirtschafts- und Energieminister und Vize-Kanzler Robert Habeck. Und während alle aufs Thema Gas schauen, geht ein Satz des Ministers ein wenig unter, bei dem man in Datteln und den Nachbarstädten die Ohren spitzen sollte: Habeck kündigte nämlich an, nach der Verstaatlichung Einfluss auf das Geschäft von Uniper zu nehmen. „Und dann wird man sich die einzelnen Geschäftsfelder im Einzelnen sehr genau anschauen“, sagte er laut „Börsen-Zeitung“. Umstritten ist neben der Beteiligung an Kernkraftwerken in Schweden und der Stromerzeugung in Russland – natürlich auch das Kohlekraftwerk Datteln 4.
Umweltschützer verbinden mit der Verstaatlichung Hoffnungen: Der Verband BUND mahnt an, dass der Staat nach der Übernahme Unipers dafür sorgen müsse, dass sich die Ausrichtung des Konzerns zugunsten erneuerbarer Energien ändere. Der Staat müsse für eine „schnelle Dekarbonisierung“ sorgen und das Unternehmen zu einem „relevanten Akteur der Energiewende“ machen.
Doch gut möglich, dass dem künftigen Kraftwerks-Eigentümer, was die Anlage Datteln 4 angeht, eine Gerichtsentscheidung zuvorkommt. Dirk Teßmer ist einer der Anwälte, die die Kraftwerks-Gegner vor Gericht vertreten. Er bringt in Erinnerung, dass unabhängig davon, wie der Staat als Eigentümer künftig mit dem Kraftwerk weitermachen will, tatsächlich die Richter des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Münster dem Projekt den Garaus machen könnten, noch bevor der Staat überhaupt gefragt ist, sich zu verhalten.
Denn bekanntlich hat dieses Gericht den Bebauungsplan fürs Kraftwerk bereits zum zweiten Mal für nichtig erklärt. Eine Revision wurde nicht zugelassen, gegen diese Entscheidung läuft eine Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht. Das wiederum hat darüber noch nicht befunden, die Beteiligten rechnen aber bald mit Nachrichten aus Leipzig. Das oberste Verwaltungsgericht Deutschlands steigt nicht in die inhaltliche Prüfung ein, sondern schaut nur, ob das Urteil aus Münster formalrechtlich in Ordnung ist.
Sollte es beim OVG-Urteil bleiben, halten es die Kraftwerksgegner nur für eine Formalie, dass sie dann auch im Verfahren um die immissionsschutzrechtliche Genehmigung, also die Betriebserlaubnis für Datteln 4, gewinnen. Die Logik: Für ein Kraftwerk, das auf einem Gelände ohne gültiges Baurecht steht, kann es auch keine Betriebserlaubnis geben. „So hat das Gericht ja schon seinerzeit entschieden, als Eon den ersten Versuch unternommen hat“, erinnert Teßmer. Damals hatte die Politik versucht, die Sache im Nachhinein zu „heilen“ – wobei man wieder bei den Grünen wäre, bei denen das heftigen internen Streit ausgelöst hatte. Damit, dass es diesmal noch einen „Heilungsversuch“ gäbe, wenn das Gericht im Sinne der Kraftwerksgegner entscheidet, ist allerdings nicht zu rechnen.
Wie könnte es stattdessen nun weitergehen? Obwohl das 1050-Megawatt-Kraftwerk längst steht und täglich Strom und Fernwärme produziert, bleibt es dabei: Wenn die Gerichte final gegen Datteln 4 entscheiden, muss das Betreiber-Unternehmen die ganze Anlage auf eigene Kosten wieder abreißen. „Dazu hatte sich seinerzeit Eon verpflichtet“, sagt Anwalt Teßmer. Denn bekanntlich war der damalige Betreiber so selbstgewiss, dass er glaubte, niemals in diese Lage zu kommen. Das Nachfolge-Unternehmen Uniper trat später mit allen Rechten und Pflichten ein, und das gilt nun auch für den Nach-Nachfolger, den Staat. Der stünde dann für einen möglichen Abriss gerade. Die Kosten für den Steuerzahler wären immens: Allein für den Bau und die Rechtsstreitigkeiten haben Eon und Uniper bereits um die 1,5 Milliarden Euro hingeblättert. Und ein Komplett-Abriss samt Wiederherstellung der ursprünglich grünen Fläche? Insider schätzen die Kosten auf noch einmal rund eine Milliarde Euro.
Unmittelbare Folgen für das Gerichtsverfahren durch die Tatsache, dass Uniper künftig in Staatshand ist, sieht Teßmer indes nicht. „Ich gehe nicht einmal davon aus, dass die Gegenseite jetzt ihre Anwälte auswechselt.
Erdgas-Krise
Der Abgesang auf die Kohlekraftwerke war schon gesungen. Jetzt kommt die Gas-Krise, Uniper preist sein Kraftwerk Datteln 4 an - und Dr. Thomas Krämerkämper vom örtlichen BUND kritisiert den Grünen-Wirtschaftsminister.
von Markus Weßling, Waltroper Zeitung, 20. Juni 2022
Bringt die Gas-Krise eine Renaissance der Kohlekraftwerke mit sich, deren Ende doch eigentlich absehbar schien? Was heißt das alles für Uniper in Datteln und Trianel in Lünen? Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, ausgerechnet ein Grüner, jedenfalls sagt, es solle weniger Gas zur Stromproduktion genutzt werden. Stattdessen sollen Kohlekraftwerke „stärker zum Einsatz kommen“. Ein entsprechendes Gesetz soll am 8. Juli vom Bundesrat beschlossen werden und dann zügig in Kraft treten. Für eine Übergangszeit mehr Kohlekraftwerke – „das ist bitter, aber es ist in dieser Lage schier notwendig, um den Gasverbrauch zu senken“.
Mit dem organisierten Umweltschutz ist der Minister damit jedenfalls nicht auf einer Linie. Dr. Thomas Krämerkämper, Vize-Landesvorsitzender des Umweltverbandes BUND und das „Gesicht“ des Verbandes in der Region, hört solche Statements mit großem Ungemach. Mit den Kohlekraftwerken, die nun mehr Energie liefern sollen, könnten ja wohl kaum solche gemeint sein, die gar nicht genehmigungsfähig seien, sagt Krämerkämper. Er meint damit insbesondere die Anlage Datteln 4 von Uniper und das Trianel-Kraftwerk in Lünen, beide unmittelbar an der Waltroper Stadtgrenze gelegen. Für die Uniper-Anlage erwartet der Umweltverband bekanntlich zeitnah das endgültige juristische Aus, nachdem das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster den Bebauungsplan bereits zum zweiten Mal aufgehoben hat. Und auch Trianel steht neben wirtschaftlichem auch unter hohem juristischen Druck. Es sei „beängstigend“, so Krämerkämper, wie Minister Habeck naturschutzrechtliche Standards um der Versorgungssicherheit willen außer Kraft setze. Dabei habe man doch in der Corona-Krise gesehen, dass man mit verhältnismäßig geringen Einschränkungen sehr viel Energie einsparen könne. Einen bevorstehenden Mangel an verfügbarer Energie sieht der BUND-Mann jedenfalls nicht.
Und Kraftwerksbetreiber Uniper selbst? Das Unternehmen äußert sich auf die schriftliche Anfrage, ob und inwiefern sich Habecks Ankündigung auf den Betrieb des Kraftwerks Datteln 4 auswirken werde, nur sehr allgemein. „Das Kraftwerk“, so schreibt Sprecherin Ilona Flechtner, „war schon immer strategisch höchst bedeutend, die aktuelle energiewirtschaftliche Situation führt dies uns nur noch viel deutlicher vor Augen“. Es folgt eine Art Werbeblock: „Die Anlage ist hocheffizient, sehr flexibel und versorgt das Ruhrgebiet in großem Umfang mit zuverlässiger Wärme. Sie läuft aktuell fast ohne Unterbrechung und deckt mit ihren über 1000 MW fast zwei Prozent des aktuellen Stromverbrauchs in Deutschland und rund 25 Prozent des deutschen Bahnstroms.“ Das Stadtwerke-Netz Trianel äußerte sich auf Anfrage dieser Redaktion zunächst nicht.
Für Thomas Krämerkämper ist es derweil unverständlich, warum die Bundesregierung in Sachen Sicherung der Energieversorgung den komplizierten und von Widerständen gepflasterten Weg geht statt den einfachen. Stichwort Fotovoltaik: Der Ausbau müsse viel entschlossener vorangetrieben werden, als das bisher geschehe. Für Castrop-Rauxel habe man errechnet, dass der Energiebedarf der ganzen Stadt zu decken sei, wenn jedes Haus eine Solaranlage auf dem Dach hätte und man die bestehenden Windräder mit einkalkuliere. „In Waltrop sähe das wohl nicht anders aus. In Datteln ist die Struktur eine etwas andere, da müsste man nochmal hinschauen.“ Grundsätzlich aber bleibe der Weg: ein viel konsequenterer Ausbau der Erneuerbaren, statt sich bei der Energieversorgung in neue Abhängigkeiten von anderen Despoten im Ausland zu begeben.
Es qualmt und dampft wieder
Eine geplante Revision sorgte für Stillstand im Kraftwerk Datteln 4. Nach 44 Tagen ging das Uniper-Kohlekraftwerk am Samstag (4.6.) wieder ans Netz – mit einer guten Nachricht für Fernwärme-Kunden.
von Fabian Hollenhorst, Dattelner Morgenpost, 07. Juni 2022
Auch wenn im Kraftwerk Datteln 4 mehr als einen Monat lang kein Strom erzeugt wurde, stand der Betrieb am Uniper-Standort an der Stadtgrenze zwischen Datteln und Waltrop keineswegs still. Das bestätigt Unternehmenssprecherin Ilona Flechtner auf Nachfrage. „In dieser Zeit wurden insgesamt 1069 Arbeitserlaubnisscheine ausgestellt“, sagt Flechtner. Heißt: so viele verschiedene Instandhaltungsarbeiten wurden in diesem Zeitraum durchgeführt.
Und die positive Nachricht schickt die Uniper-Sprecherin vorweg: „Es wurde kein einziger Arbeitsunfall verzeichnet.“ Von der Planung bis zur Durchführung sei die Revision reibungslos verlaufen. „In diesen Zeiten, wo Fachleute schwer zu bekommen sind, ist das nicht selbstverständlich“, sagt sie.
Unter anderem seien die Aggregate kontrolliert und repariert worden. Eine neue Dampfleitung sorgt nun dafür, dass die mit Erdöl betriebenen Hilfskessel schneller hochgefahren werden können und bei diesem Prozess auch weniger Öl verbrauchen. Demnach könne also schneller und effizienter Fernwärme erzeugt werden, bestätigt Ilona Flechtner.
Es könne in Zukunft immer mal wieder zu kleineren Überprüfungen kommen, für die der Betrieb im Kraftwerk ruhen muss, sagt die Uniper-Sprecherin. Eine Revision in dieser Größe sei aber in der Regel nur alle vier bis fünf Jahre eingeplant.
In Waltrop, Datteln und Oer-Erkenschwick ist Dr. Thomas Krämerkämper vom BUND als Kraftwerksfachmann bekannt. Er sagt: Die Folgerung aus der Ukraine-Krise muss die Stärkung der Erneuerbaren Energien sein.
von Markus Weßling, Waltrop, Datteln, Oer-Erkenschwick / 04.03.2022 / Lesedauer: 3 Minuten
Der Kraftwerksfachmann des Umweltverbandes BUND, Dr. Thomas Krämerkämper, erwartet, dass der Krieg in der Ukraine und seine Folgen in Deutschland die Energiewende beschleunigen werden – mit Folgen auch für das Kohlekraftwerk Datteln 4. Krämerkämper sagte, solange Uniper Kohle aus Russland in seinem Dattelner Kraftwerk einsetze, finanziere es Putins Krieg gegen die Ukraine mit. Er geht davon aus, dass das Kraftwerk zurzeit noch russische Kohle einsetzt. Die Kohle für die modernen Kraftwerke wird aus unterschiedlichen Ländern auf dem Weltmarkt bezogen, darunter auch fragwürdige Handelspartner wie Kolumbien.
Unser Freund und Alternativer Nobelpreisträger, Vladimir Slivyak von Ecodefense, hat zusammen mit der Right Livelihood Foundation einen klaren und dringenden Appell zum Stopp der fossilen Energiegeschäfte mit Russland veröffentlicht:
Krämerkämper sagt, der einzige Weg, sich aus der Abhängigkeit von fremden Energie-Lieferländern zu befreien die ja nicht nur im Falle Russlands von Despoten und undemokratischen Regierungen geführt würden, sei der beschleunigte Ausbau der Erneuerbaren. Er hätte es begrüßt, wenn die Bundesregierung ein 100 Milliarden Euro schweres Sondervermögen für die Energiewende aufgelegt hätte, so wie sie es jetzt für die Stärkung der Bundeswehr getan hat.
Uniper jedenfalls gelange durch die Entwicklungen in der Ukraine zusätzlich unter Druck. Vorschlägen aus der Politik, jetzt über längere Laufzeiten etwa von Atomkraftwerken nachzudenken, bescheinigt Krämerkämper: „Da hat man sich keinen zweiten Gedanken gemacht.“ Die Betreiber der Anlagen jedenfalls seien nicht dafür. Zurück zu Datteln 4: Der Sprecher des Kraftwerksbetreibers Uniper, Georg Oppermann, hatte gegenüber unserer Redaktion zwar eingeräumt, dass ein Teil der Kohle für Datteln 4 aus Russland kommt. Wie hoch der Anteil ist, wollte er öffentlich aber lieber nicht sagen. Der Anteil russischer Kohle im Kohlemix für Datteln 4 sei jedenfalls „nicht unerheblich“.
Auch beim Stadtwerke-Netz Trianel hat unsere Redaktion angefragt, wie sich der Krieg auf die Versorgung seines Kohlekraftwerks in Lünen auswirkt. Dort antwortete man zwar erst nach mehreren Tagen, dafür allerdings konkreter:
„Das Trianel-Kohlekraftwerk läuft und hat derzeit ausreichend Kohlebestände, um den Kraftwerksbetrieb aufrecht zu erhalten. Es ist richtig, dass fast 70 Prozent der Kohle, die im Trianel-Kraftwerk Lünen verfeuert wird, aus Russland gekommen sind. Wir überarbeiten das Kohle-Logistik-Konzept. Ob es zu einem Ausfall russischer Kohlelieferungen kommen wird, können wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht beurteilen. Aber natürlich bereiten wir uns vor, um unseren Beitrag für die Versorgungssicherheit erfüllen zu können.“ Trianel blickt „mit größter Bestürzung auf die Ereignisse in der Ukraine“, erklärt sein Mitgefühl gegenüber den Leidtragenden des Krieges. Die Auswirkungen seien „in jeglicher Hinsicht noch nicht absehbar“, aber man könne „jetzt schon erkennen, dass die Energiemärkte für Brennstoffe und Strom sehr angespannt und nervös sind“.
Woher aber stammt die russische Kohle für die Anlagen in unserer Region genau? Auf der Internetseite stoppdatteln4.de findet sich, jeweils mit Quellenangaben unterlegt, folgende Information: „Die aus Russland importierte Kohle kommt zu 76 Prozent aus der Region Kuzbass im Süden Sibiriens. Auf einer Fläche fast so groß wie Bayern sind 120 Minen und Tagebaue angesiedelt. Die Gesamtfläche von Tagebauten und Abraum war schon 2015 mit 763 km² größer als die Fläche Hamburgs. Diese russische Kohle ist aufgrund des geringen Schwefelgehalts (weniger als ein Prozent) sehr hochwertig und beliebt.“
Was Datteln 4 angeht, so spricht Krämerkämper derweil auch an, dass der finnische Staat sicherlich auch nicht auf Dauer akzeptieren werde, dass die Kohle aus dem Land des Kriegs-Aggressors im Uniper-Kraftwerk verfeuert wird. Der finnische Staat ist mit einer Mehrheit am Uniper-Mutterkonzern Fortum beteiligt.
Oft schon hat man geglaubt, hinsichtlich des Kraftwerks Datteln 4 sei eine endgültige Entscheidung zum Greifen nahe. Doch diesmal spricht wirklich viel dafür, dass 2022 das entscheidende Jahr wird.
von Markus Weßling, Waltrop, Datteln, Oer-Erkenschwick / 05. Januar 2022
Es könnte jetzt schnell gehen mit der Abschaltung des Steinkohlekraftwerks Datteln 4 – nach vielen Jahren erbittertem Rechtsstreit. Dr. Thomas Krämerkämper, ausgewiesener Fachmann für das Thema beim Umweltverband BUND, macht mit Argumenten deutlich, warum das aus seiner Sicht nicht nur Wunschdenken ist: Bekanntlich hatte das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster im vergangenen Sommer den Bebauungsplan (B-Plan) für den Koloss mit dem 180-Meter-Kühlturm für unwirksam erklärt. Eine Revision wurde nicht zugelassen – genau dagegen gehen aber nun die vorläufigen Verlierer des Rechtsstreites vor. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig muss über eine „Nichtzulassungsbeschwerde“ entscheiden. Es dürfte noch deutlich vor der Jahreshälfte den Daumen heben oder senken. Prognose vieler Fachleute: Das Urteil wird wohl Bestand haben.
Formal war’s das dann aber immer noch nicht fürs Kraftwerk, denn es gibt ja noch die – ebenfalls beklagte – Betriebserlaubnis. Wenn das Urteil rechtskräftig wird, erwartet Krämerkämper aber von der Genehmigungsbehörde, der Bezirksregierung Münster, dass sie dem Kraftwerk dann gleich die Betriebserlaubnis entzieht, ohne dass man erst wieder das Gericht bemühen muss. Denn, so argumentiert Krämerkämper: Dass die Betriebserlaubnis keinen Bestand haben könne, wenn es keinen gültigen B-Plan mehr gibt, das habe schon dieselbe Kammer desselben Gerichts vor Jahren klargestellt, die jetzt wieder zuständig wäre. Also sollte man sich den Umweg sparen und gleich den Deckel drauf machen. Und dann müsste tatsächlich mit dem Rückbau begonnen werden, nach Genehmigung des Entsorgungskonzeptes durchzuführen „innerhalb von 36 Monaten“, Frist nur verlängerbar, wenn ein „wichtiger Grund“ vorliegt.
Krämerkämper denkt schon weiter: Wenn es nach dem BUND gehe, sollte die Fläche bevorzugt an die Landwirtschaft zurückgegeben werden, aber wenn sie schon gewerblich genutzt werde, könne man damit endlich auch die „newPark“-Planungen beerdigen. Denn bereits erschlossene ehemalige Industrieflächen gebe es in der Region zuhauf, und es würden noch mehr, je mehr Kraftwerke im Zuge des Kohleausstiegs abgeschaltet werden. Da brauche man keinen Flächenverbrauch für den „newPark“.
Für den Chef des Betreibers Uniper, Klaus-Dieter Maubach, scheint sich die Realität derweil noch ganz anders darzustellen. Von kleinlautem Aufgeben keine Spur. Im Interview mit der „Rheinischen Post“ sagte Maubach, die Planungen des Unternehmens mit dem Kraftwerk gingen „bis 2038“ – Stichwort Kohle-Kompromiss. Datteln 4 sei „das modernste Kraftwerk seiner Art und nicht einmal zwei Jahre in Betrieb. Soll es acht Jahre früher vom Netz als im Gesetz steht, brauchen wir entsprechende Entschädigungen“. Aber wenn das Kraftwerk keine Betriebserlaubnis mehr hat, ist wohl auch nicht an eine Entschädigung zu denken. Maubach sagte der „Rheinischen Post“ weiter, dann könnte man versuchen, „die gerügten Mängel in einem neuen Planungsverfahren zu beseitigen“. Das, so der Uniper-Chef, „wäre mühsam, aber wir wollen, dass das modernste Kohlekraftwerk am Netz bleibt. Andernfalls würden weniger saubere Kraftwerke die Lücke füllen“.
Krämerkämper kann kaum glauben, dass Uniper ernsthaft von einem neuen Versuch redet. Er kann die Dattelner Politik und Stadtverwaltung nur dringend davor warnen, sich für einen neuerlichen Planungsanlauf – das wäre dann der dritte – herzugeben. Bei einigen Dattelner Verantwortungsträgern bemerkt er inzwischen ein Umdenken.
Am 28. Oktober 2021 stand folgender Leserbrief in der Dattelner Morgenpost:
CDU macht es sich zu einfach
Die Sorge der CDU für künftige Großprojekte in Datteln ist für mich nicht nachvollziehbar. Wenn die Stadt Datteln und die großen Ratsfraktionen ihre Arbeit ordentlich und den Regeln entsprechend gemacht hätten, wären die OVG-Urteile in Münster sicherlich anders ausgefallen. Trotz hundertfacher deutlicher Einwände von Dattelner Bürgern gegen die Rechtmäßigkeit der Bebauungspläne für das Großprojekt Datteln 4 (105, 105a) wurden die Pläne mit Hilfe der Mehrheit der Ratsmitglieder beschlossen.
Aufgrund einer Klage von Anwohnern wurde 2009 der Bebauungsplan 105 vom OVG Münster für unwirksam erklärt. Das Urteil wurde auf sage und schreibe über 100 Seiten begründet, unzählige Abwägungsfehler wurden festgestellt und genau beschrieben. Detaillierter kann man die von der Stadt Datteln gemachten Fehler kaum ausführen. Damals wurde die Revision vor dem BVerwG ebenfalls nicht zugelassen. So wie heute meinte man damals genauso, mit einer Nichtzulassungsbeschwerde bei eben diesem Gericht das Urteil durch eine Revision ändern zu können. Die Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht in Leipzig damals eindeutig zurückgewiesen. Das Urteil wurde rechtskräftig.
Durch nach meiner Ansicht kräftiger Lobbyarbeit bei unseren Politikern im Bund und vor allem im Land NRW wurde das Urteil des OVG ad absurdum geführt. Man versuchte, den Landesentwicklungsplan (wo Datteln 4 an einer anderen Stelle vorgesehen war) zunächst per Gesetz zu ändern. Als man damit nach dem Regierungswechsel keinen Erfolg hatte, kam ein anderer juristischer Winkelzug zum tragen, es wurde ein sogenanntes Zielabweichungsverfahren durchgeführt. Jetzt konnte Datteln 4 weiterhin an der heutigen Stelle geplant werden, ohne den Landesentwicklungsplan zu ändern. Das Ergebnis war der Bebauungsplan 105a.
Dieser wurde wie bekannt ebenfalls für unwirksam erklärt. Die Begründung wurde diesmal auf 53 Seiten aufgeführt. Dass der 10. Senat in der Begründung zum heutigen Urteil nicht die Abwägungsfehler aus dem Urteil von 2009 wiederholt, liegt auf der Hand. Es hat sich gegenüber 2009 nichts geändert.
Alle Abwägungsfehler sind geblieben und wieder gemacht worden. Ich glaube, die CDU macht es sich zu einfach, den „schwarzen Peter“ an den RVR weiterzureichen. Der Bebauungsplan der Stadt Datteln ist nicht rechtmäßig.
Rainer Köster
Am 02. Oktober 2021 stand folgender Leserbrief in der Dattelner Morgenpost:
Keine Notwendigkeit, weiter Steuergelder zu verschwenden
Mit Erstaunen lese ich in dem Artikel, dass sich unser Bürgermeister André Dora verpflichtet fühlt, Beschwerde gegen die Nichtzulassung einer Revision im Normenkontrollverfahren gegen den Bebauungsplan 105a einzulegen, um Regressansprüche von Uniper abzuwehren.
Es ist richtig, dass sich die Stadt Datteln im Durchführungsvertrag mit EON/Uniper verpflichtet hat, in dem Falle, dass der vorgezogene Bebauungsplan 105a in einem Normenkontrollverfahren für unwirksam erklärt wird, die Möglichkeit einer Heilung zu prüfen.
Eine Verpflichtung ist nicht ersichtlich
Die Prüfung einer Heilung im Baurecht bezieht sich meiner Meinung nach auf eine mögliche Änderung des Bebauungsplans, jedoch ist eine Verpflichtung zum Einlegen von Rechtsmitteln für mich nicht ersichtlich. Es ist absolut fernliegend, dass aus diesem Durchführungsvertrag heraus eine Pflicht zum Einlegen von Rechtsmitteln erwächst.
Auch sehe ich nicht, dass Uniper mit Erfolg Regressansprüche an die Stadt stellen kann. Im selben Durchführungsvertrag §4 (Haftungsverzicht) verzichtet Uniper auf alle etwaigen Ansprüche, die sich aus der Unwirksamkeit der Bebauungspläne 105 oder 105a ergeben könnten, unabhängig davon, ob diese auf Aufwendungen des Vorhabenträgers vor oder nach Vertragsabschluss beruhen.
Ich meine, sehr geehrter Herr Bürgermeister, auch die Stadt Datteln muss letztendlich einsehen, dass sie mit dem Bebauungsplan für das Kraftwerk Datteln 4 an dieser Stelle einen Fehler gemacht hat.
Geld der Bürger wird eingesetzt
Es ist aus meiner Sicht nicht notwendig, trotz zweier eindeutiger Urteile des 10. Senats des Oberverwaltungsgerichts NRW noch weiter Steuergelder zu verschwenden, um eine unnötige Nichtzulassungsbeschwerde beim BVG zu beantragen, die wenig Aussicht auf Erfolg haben wird.
Sie sollten daran denken, es sind die Gelder der Dattelner Bürger, die Sie dafür einsetzen.
Rainer Köster
Datteln 4
Nach dem Urteil des OVG Münster gegen den Kraftwerks-Bebauungsplan macht sich Bürgermeister André Dora dafür stark, beim Bundesverwaltungsgericht Nichtzulassungsbeschwerde einzureichen.
von Uwe Wallkötter, Dattelner Morgenpost, 28. September 2021
Wie lange dampft es noch aus dem Kühlturm des umstrittenen Dattelner Kohlemeilers? © Martin Pyplatz
Das Oberverwaltungsgericht in Münster hatte Ende August in einer mündlichen Verhandlung – inzwischen liegt auch das 53-seitige schriftliche Urteil vor – nicht nur den Bebauungsplan 105a Kraftwerk wegen fehlender Abwägungsprozesse des Regionalverbandes für nichtig erklärt. Es hatte auch eine Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig nicht zugelassen. Und dagegen möchte Dora nun Beschwerde einlegen. Die Frist dafür läuft Mitte Oktober ab, die ausführliche Begründung muss dann bis Mitte November eingereicht werden, sagt Dattelns Bürgermeister.
Wenn die Stadt Datteln diesen Schritt nicht geht, fürchtet André Dora unter Umständen Regressansprüche von Uniper wegen ausbleibender Einnahmen durch den Kraftwerksbetrieb. Und diese Regressansprüche dürften dann in Millionenhöhe ausfallen. „Ich möchte langfristig ausschließen, dass Schaden für die Stadt entsteht“, betont Dora.
Wie er im Gespräch mit unserer Redaktion betont, gibt es einen entsprechenden Passus im sogenannten Durchführungsvertrag, den die Stadt seinerzeit mit E.on abgeschlossen hat. Darin heißt es, dass die Stadt sich verpflichtet, eine Heilung zu prüfen, falls der Bebauungsplan für das Kraftwerk rechtskräftig abgelehnt wird. So wie es 2009 bereits einmal geschehen ist. Für Dora heißt das im Umkehrschluss, dass die Stadt auch verpflichtet ist, sämtliche Rechtsmittel gegen einen solchen abgelehnten B-Plan zu nutzen. Das wäre in diesem Fall eben die Nichtzulassungsbeschwerde in Leipzig, die der Stadt als einziger juristischer Ausweg bleibt. Eine solche Beschwerde kann nach Angaben Doras auch Kraftwerksbetreiber Uniper einreichen. „Wir sind im ständigen Austausch mit dem Unternehmen.“ Dora hält diese Vertragspassage übrigens angesichts der Größenordnung des Projektes für „völlig normal“.
Theoretisch, so Dora, bestünde auch die Möglichkeit, einen neuen B-Plan, den 105b Kraftwerk, aufzustellen. Aber das hält der Bürgermeister allein aus zeitlicher Sicht für nicht machbar, wenn es überhaupt erneut eine politische Mehrheit im Rat dafür gebe. „Bis der fertig ist, dürfte das Kraftwerk ohnehin vom Netz sein.“ Zwar würde Datteln in diesem Fall den B-Plan 105a eins zu eins kopieren. Aber dafür müsste dann auch der vom OVG kritisierte Regionalplan geändert werden, über den Datteln 4 Ende August gestolpert war.
Über den Gang vors Bundesverwaltungsgericht könnte der Bürgermeister auch allein entscheiden. „Einfaches Geschäft der laufenden Verwaltung“, heißt das im Verwaltungsdeutsch. Aber Dora möchte auch die Dattelner Politik beteiligen. „Schließlich hat der Rat ja auch über den Bebauungsplan fürs Kraftwerk entschieden“, betont Dora. Deshalb wird es in der kommenden Woche eine interfraktionelle Sitzung geben, an der auch die juristischen Berater der Stadt teilnehmen werden. „Dort wollen wir über die weiteren Schritte reden“, sagt der Bürgermeister.
Wir haben in dieser Sache schon einmal einige Lokalpolitiker befragt. CDU-Chef Dr. Patrick-Benjamin Bök sagt: „Wenn da im Vertrag Punkte drin sind, die z.B. im Rat nicht richtig oder vollständig vorgetragen wurden, dann muss das natürlich aufgearbeitet werden. Ob und für wen das dann wie auch immer geartete Konsequenzen haben muss, das kann ich beim jetzigen Stand der Informationen nicht sagen.“ Grundsätzlich sieht er aber eher die Planungsbehörde in der Pflicht. Klar sei: „Wir müssen zusehen, wie Schaden von der Stadt abgewendet werden kann.“
FDP-Fraktionsvorsitzender Robert Golda betont, dass die Liberalen das Thema in der nächsten Fraktionssitzung diskutieren werden. „Ich persönlich sage, jetzt haben wir ein Urteil, damit müssen wir arbeiten. Begeistert bin ich nicht von dem ganzen Vorgang, denn jetzt wurde viel Geld investiert. Aber es gibt ein Urteil, das sagt, das darf da nicht stehen.“ Wenn man also zu dem Schluss komme, das Kraftwerk muss weg, dann müsse das so schnell wie möglich umgesetzt werden. „Man muss jetzt bereits anfangen, zu planen, wie die Infrastruktur der Stadt Datteln aufrechterhalten werden kann, egal, zu welchem Zeitpunkt das Kraftwerk abgeschaltet werden soll.“ Golda denkt da etwa an die Versorgung der Fernwärmeabnehmer. „Ich bin da ergebnisoffen. Wir sollten jetzt schauen, welche Möglichkeiten es gibt. Vielleicht ein Biogas-Kraftwerk.“
Fakt aber ist für Dora, dass Uniper das Kraftwerk – wie vertraglich vereinbart – zurückbauen muss, wenn es keinen gültigen Bebauungsplan gibt. Das wäre der Fall, falls Leipzig dem Oberverwaltungsgericht Münster folgt und eine Revision nicht zulässt, ober aber, wenn das Bundesverwaltungsgericht im Revisionsverfahren der Auffassung von Münster folgt und den B-Plan ebenfalls kippt. Dann wäre Datteln 4 endgültig ein Schwarzbau und die Stadt müsste die Abrissverfügung an Uniper verschicken, sagt Dora.
Gegen die immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb des Kraftwerks aus dem Jahr 2017 sind übrigens noch Klagen beim 8. Senat des Oberverwaltungsgerichts anhängig. Wann die verhandelt werden, ist völlig offen.
Uniper-Kraftwerk Datteln 4:
Der Kampf gegen Datteln 4 zieht sich durch die Karriere des Berliner Anwaltes Philipp Heinz (47). Die Ratsvertreter von 2014 hätten es besser wissen müssen, sagt der Jurist.
von Fabian Hollenhorst, Dattelner Morgenpost, 2. September 2021
Einen Prozess gegen Datteln 4 hat Umweltanwalt Philipp Heinz in seiner beruflichen Karriere noch nicht verloren. 2009 vertrat er die Waltroper Familie Greiwing erfolgreich im ersten Normenkontrollverfahren gegen den ursprünglichen Bebauungsplan für das Kohle-Kraftwerk Datteln 4 und erwirkte den zwischenzeitlichen Baustopp. Seit 2011 hatte er rund 60 Dattelner und Waltroper Privatpersonen während des Aufstellungsverfahrens des neuen Bebauungsplanes 105a gegenüber der Stadt Datteln vertreten. Auch beim aktuellen Verfahren zur Normenkontrolle am 26. August 2021 hatte er vor dem Oberverwaltungsgericht Münster Erfolg.
Und für Philipp Heinz steht fest: Wer sich jetzt von den damaligen Entscheidern auf lokalpolitischer Ebene in Datteln überrascht zeigt, „hat damals schlicht und ergreifend seinen Job nicht gemacht.“ Denn zwei Stellungnahmen, die er im Jahr 2011 an die Stadt Datteln im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung sowie der Auslage des Flächennutzungs- und Bebauungsplanes schickte, würden genau die Kritikpunkte beinhalten, die letztendlich nun vor Gericht dazu geführt haben, dass der B-Plan 105a für unwirksam erklärt wurde. Er habe „exakt das geschrieben und massiv gerügt“, was nun vor Gericht zum Erfolg geführt hat.
Insbesondere die Aussagen von Peter Amsel, der 2014 als Fraktionschef der FDP im Rat fungierte, will er so nicht stehen lassen. Offenbar haben Amsel und weitere Stadträte von 2014 seine mit „aller Sorgfalt und Ausführlichkeit“ verfasste Stellungnahme im Namen von 60 Bürgern und zwei großen Umweltverbänden nicht gelesen, offenbar nicht einmal zur Kenntnis genommen. „Das wäre aber seine zentrale Pflicht als Stadtrat gewesen“, kritisiert Heinz. Amsel hatte im Nachgang des OVG-Urteils gesagt, die Standort-Frage sei bei der Aufstellung des neuen B-Plans in Datteln nie ein Thema gewesen.
Tatsächlich habe Heinz die „stark fehlerhafte Standortalternativensuche, auf die sich die Stadt Datteln beruft“, schon 2011 moniert, „weil eine Einschränkung auf den alten Regionalplan Emscher-Lippe erfolgt ist und weil die Kriterienauswahl fehlerhaft ist.“ Dies habe er ausführlich formuliert und auch für einen Nichtjuristen verständlich dargelegt. „Und ansonsten muss man als Stadtrat eben so lange nachfragen, bis man es verstanden hat“, sagt Heinz. Auch gegenüber des Regionalverbandes Ruhr habe Heinz eine Stellungnahme mit diesen Kritikpunkten im Jahr 2011 im Rahmen der Beteiligung zur 7. Änderung des Regionalplans deutlich gemacht.
Nicht nur die vermeintliche Unwissenheit, auch die Aussagen von Peter Amsel bezüglich des nicht vorhandenen, öffentlichen Widerstandes stoßen dem Berliner Rechtsanwalt sauer auf. „Was soll das denn bitte heißen? Richtet sich Herr Amsel nur danach, wer am lautesten schreit? Ist nur das ,Widerstand‘? Bei der Aufstellung eines Bebauungsplans für eines der größten und immissionsträchtigsten Kohlekraftwerke Europas geht es um eine intensivste Auseinandersetzung mit fachlichen und rechtlichen Gesichtspunkten“, führt Heinz aus. Offenbar würde es für Peter Amsel nicht zählen, wenn 60 Bürger, die vornehmlich aus der Stadt kommen, in der er Ratsherr war, und „massiv von dem Vorhaben betroffen sind“, sich zusammentun und zudem einen Anwalt finanzieren, der eine 140-seitige Stellungnahme verständlich erarbeitet und im Rahmen der zentralen Öffentlichkeitsbeteiligung die Probleme und Fehler auf fast 400 Seiten aufarbeitet, meint Heinz.
Auch um die Fernwärmeversorgung in Datteln machte sich Peter Amsel im Zuge des OVG-Urteils Sorgen. Philipp Heinz verweist auf die errichtete Fernwärmepipeline, die Datteln an den Verbund Recklinghausen angeschlossen hat. Der von Eon errichtete Fernwärmeblock, der in Betrieb genommen wurde, als das Altkraftwerk abgeschaltet wurde und Datteln 4 noch nicht in Betrieb war, würde zudem vollkommen ausreichen, um Datteln mit Fernwärme zu versorgen. „Nur zur Dimension: Datteln 4 hat eine Feuerungswärmeleistung von 2.400 Megawatt. Das Fernwärmenetz von Datteln kann selbst im Winter maximal 58 Megawatt aufnehmen. Sprich, die Dattelner Fernwärme nimmt rund 2,5 Prozent der Feuerungsleistung dieses Kraftwerks auf“, wird Heinz deutlich.
Dass sich Betroffene gegen Fehler des Staates und der Behörden wehren können, würde noch lange nicht dazu führen, dass der Industriestandort Deutschland in Gefahr gerät, wie es Peter Amsel befürchtet, stellt Philipp Heinz klar. „Das ist doch vielmehr der Inbegriff des Rechtsstaats!“ Eher würde es daran liegen, dass die Entscheidungsträger – „inklusive Herrn Amsel“ – frühzeitige Kritik von Betroffenen und Umweltverbänden „in den Wind schieben bzw. gar nicht erst zur Kenntnis nehmen“.
Während der kleinen Feier nach dem OVG-Urteil in der Postkutsche teilte Philipp Heinz den Kraftwerksgegnern von IG Meistersiedlung und BUND mit, dass er in bis zu einem Jahr mit dem Aus für Datteln 4 rechne. Noch ist derweil unklar, wie Uniper im Zuge des ungültigen Bebauungsplanes mit dem Kohlekraftwerk plant. Der nächste Schritt der Gegner wäre eine Klage gegen die Betriebserlaubnis, wenn der Energiekonzern Uniper nicht schon vorher in Verhandlungen mit der Bundesregierung über ein Aus für Datteln 4 tritt.
Nach Berechnungen des Analyseinstituts „Energy Brainpool“ im Auftrag der Öko-Energieversorger „Greenpeace Energy“ würden die Betriebskosten des Kraftwerks bei steigenden CO2-Preisen bereits 2026 die Verkaufserlöse von dort produziertem Kohlestrom übersteigen, was das Kraftwerk unwirtschaftlich werden ließe. „Datteln 4 rechnet sich nur dann, wenn die nächste Bundesregierung bewusst die Energiewende ausbremsen sollte, etwa mit niedrigen CO2-Preisen oder einem langsamen Ausbau der Erneuerbaren. Das aber wäre ein umweltpolitischer Offenbarungseid – und ein klarer Verstoß gegen die selbst gesetzten Klimaziele“, kommentiert Marcel Keiffenheim, Leiter Politik und Kommunikation bei Greenpeace Energy, die Berechnungen. Immer wahrscheinlicher wird die Möglichkeit, dass Uniper schon vor einem Prozess gegen die Betriebserlaubnis mit der Bundesregierung über ein Aus des letzten Kohlemeilers, der in Deutschland ans Netz gegangen ist, verhandelt. „Dabei darf die Politik sich nicht auf saftige Entschädigungszahlungen einlassen. Solch offensichtliche und fahrlässige Fehlinvestitionen sollten den Kohlekonzernen nicht auch noch auf Kosten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler vergoldet werden“, bezieht Keiffenheim Stellung zu den möglichen Forderungen in Millionenhöhe von Betreiber Uniper.
2021: Wieder haben Philipp Heinz, die Greiwings sowie die Mitkläger der IG Meistersiedlung und des Umweltverbandes BUND Erfolg bei dem Verfahren zur Normenkontrolle: Auch der zweite Bebauungsplan ist für unwirksam erklärt worden. Mehr als zwölf Jahre befasst sich der Berliner Anwalt nun schon mit dem Kohle-Kraftwerk in Datteln. © Markus Weßling (Dattelner Morgenpost)
Am 02. September 2021 stand folgender Leserbrief in der Dattelner Morgenpost:
„Besser gleich auf die Grünen hören“
„Nach dem Gerichtsbeschluss zum Bebauungsplan des Kraftwerks schlagen die Wellen in der Dattelner Politik hoch. Die Fraktionen der SPD, CDU und FDP geben eine gemeinsame Stellungnahme heraus. Allein diese verfehlt das Thema. Anstatt sich mit dem Gerichtsbeschluss und der eigenen Verantwortung bei der größten juristischen Schlappe unserer Stadt seit dem Scheitern der ersten Trasse der B 474n in den 90ern zu beschäftigen, machten die Verfasser einen Nebenkriegsschauplatz auf. Die Fraktionen von SPD, CDU und FDP klagten über eine Veröffentlichung der Dattelner Grünen, in der Theo Beckmann das Gerichtsurteil feierte. Die wenig diplomatische Wortwahl des Grünen machte insbesondere Falko Böhlje von der SPD „fassungslos“. Fakt ist jedoch, dass mit dem von SPD, CDU und FDP aufgestellten Bebauungsplan Recht und Gesetz gebrochen wurde. Dies hat das Oberverwaltungsgericht Münster unmissverständlich festgestellt.
Eine Absicht zum Rechtsbruch darf den drei Parteien dabei selbstverständlich nicht unterstellt werden – was Herr Beckmann übrigens nicht tut. Die Ratsmitglieder der SPD, CDU und FDP haben damals vielmehr in der besten Absicht, doch mit wenig Sachverstand den neuen Bebauungsplan aufgestellt. Ehrenamtlichen Ratsmitgliedern oder „Amateur-Politikern“, wie sie der langjährige CDU-Ratsherr Walter Deckmann nennt, mag man diese mangelnde Kompetenz nachsehen. Bei einem hauptberuflichen Verwaltungschef mit jahrelanger juristischer Erfahrung fragt sich der außenstehende Beobachter dagegen, ob eine solche Blamage vor Gericht nicht hätte verhindert werden können. Wie dem auch sei, nun geht es darum, mit dem Urteil umzugehen und, aller Voraussicht nach, das Kraftwerk mittelfristig zurückbauen zu lassen (wobei das Alte ja auch noch steht). Es bleibt zu hoffen, dass der Rat unserer Stadt und unser Bürgermeister dieser schwierigen Aufgabe gewachsen sind. Ein Anfang ist bereits gemacht: In ihrer gemeinsamen Stellungnahme schrieben SPD, CDU und FDP, dass sie den Rat als ein „Team für die Bürger und Bürgerinnen“ von Datteln aufstellen wollen – also nicht weiter als ein Team für die Interessen von Großkonzernen. Dann hören sie beim nächsten Mal am besten gleich auf die Grünen. Deren Politik erwies sich als bürgernah, zukunftsweisend und und vor allem rechtssicher.
Malte Christ
"Damit ist die Betriebsgenehmigung rechtswidrig"
Was passiert mit dem Kohlekraftwerk Datteln 4, nachdem der Bebauungsplan gerichtlich für unwirksam erklärt wurde? Eigentlich müsste daraus die Stilllegung folgen, erklärt die Juristin Francesca Mascha Klein von der Umweltrechtsorganisation Client Earth im Interview. mit Susanne Schwarz, Klimareporter, 30. August 2021
https://www.klimareporter.de/strom/damit-ist-die-betriebsgenehmigung-rechtswidrig
Datteln-4-Gegner feiern Erfolg
Es ist ein Sieg auf ganzer Linie für die Kraftwerks-Gegner: Auch der zweite Versuch, einen rechtssicheren Bebauungsplan für Datteln 4 aufzustellen, scheitert krachend.
von Markus Weßling, Dattelner Morgenpost, 26. August.2021
Kaum sind die Worte des Vorsitzenden Richters Detlev Klein Altstedde verklungen, da fallen sich die Antragsteller erleichtert in die Arme: Der Umweltverband BUND, Privatkläger und die Stadt Waltrop haben auf ganzer Linie gewonnen. Um 15.15 Uhr an diesem geschichtsträchtigen Donnerstag steht fest: Auch der zweite Versuch, einen rechtssicheren Bebauungsplan für das Kraftwerk Datteln 4 auf die Beine zu stellen, ist gescheitert. Dr. Thomas Krämerkämper, Vorstandmitglied im BUND und seit vielen Jahren in der ersten Reihe der Kraftwerksgegner, bringt es ungewohnt gerührt auf die Formel: „Es ist noch nicht das Ende, aber der Anfang vom Ende von Datteln 4.“ Was er damit meint: Das Kraftwerk muss nicht sofort vom Netz, aber es wird nach diesem Urteil unweigerlich irgendwann dazu kommen. Und dann muss es auch abgerissen werden. Dazu später mehr.
Schon vor der mündlichen Verhandlung hatte sich angedeutet, dass sie zugunsten der Kläger ausgehen könnte. Doch öffentlich wollte sich da noch niemand siegesgewiss äußern – zu viele Überraschungen hatten sie schon in Verwaltungsgerichts-Verfahren erfahren. Doch diesmal erleben die Eheleute Greiwing, Reiner Köster, die Vertreter der Stadt Waltrop und ihr Rechtsbestand Dr. Anja Baars gemeinsam mit zahlreichen weiteren Besuchern und Medienvertreter einen 10. Senat aus drei Berufsrichtern, der sich seiner Sache schon von Beginn an sicher ist: Der Regionalverband Ruhr als Planungsbehörde, sagen sie, hätte frühzeitig andere Standort-Alternativen für das Kraftwerk ermitteln müssen – und dabei den Such-Radius viel weiter ziehen müssen, als es geschehen ist.
Das Prinzip ist nämlich: Je größer die umweltbezogenen Auswirkungen, desto weiträumiger muss man suchen. „Charmant“ nennt Dr. Anja Baars, Rechtsanwältin der Stadt Waltrop, diese Denkfigur. Stattdessen hat man nur in der Emscher-Lippe-Region nach Alternativen geschaut. Warum, das liegt auf der Hand: Man wollte ja in Wahrheit gar keine Alternativen finden, sondern einzig und allein das Kraftwerk diesmal planerisch absichern, das bereits am Dortmund-Ems-Kanal stand und dessen Bebauungsplan 2009 im ersten Anlauf durchgefallen war. Jetzt sollte im Nachhinein legitimiert werden, dass es dort gebaut worden war.
Doch das ging schief, wie man jetzt weiß, und der Rat der Stadt Datteln hat diese fehlerhafte Standortwahl übernommen. Richter Klein Altstedde macht am Donnerstag von Anfang an klar, dass der Senat auf dieses Thema hinauswill. Als ein Rechtvertreter der Beklagten auf einen anderen Aspekt eingehen will, bremst er ihn brüsk. Auch will er nicht hören, ob das Kraftwerk klimafreundlich oder eine Dreckschleuder ist – alles nicht entscheidungsrelevant. Politisches spielt hier keine Rolle, anders als draußen vor dem Tor des Polizei-Bildungszentrum „Carl Severin“ bei den Anti-Kraftwerks-Demonstranten mir ihren einschlägigen Plakaten.
Die Richter machen sich auch keine Notizen, wenn die Prozessbevollmächtigten ihre Standpunkte vortragen. Ein Indikator dafür, dass er all das schon gehört oder in den Akten gelesen und bereits abgewogen hat.
Die Juristen der Stadt Datteln und Planungsbehörde versuchen mit langen Erörterungen zu retten, was nicht mehr zu retten ist. Am Ende präsentieren sie noch eine Liste mit Fragen von vermeintlich übergeordneter Bedeutung, die dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Entscheidung vorgelegt werden sollen. Würde das Gericht dem folgen, würden die Beteiligten nach jahrelangem Warten wieder ohne ein Urteil nach Hause gehen. „Wir werden darüber entscheiden“, sagt der Richter knapp. Da ahnt man schon: Die Entscheidung fällt nicht zugunsten jener aus, die das Kraftwerk retten wollen. Und so kommt es dann auch: Nach einer Pause von gut einer Stunde wird das Urteil verkündet. Der Bebauungsplan ist unwirksam, eine Revision wird nicht zugelassen, der EuGH wird auch nicht mit dem Fragenkatalog behelligt.
Freude auch bei der Stadt Waltrop, deren Vertreter sich vor Beginn der Verhandlung unsicher waren, ob das Gericht sie überhaupt für klageberechtigt hält. Doch das war der Fall. Ein aus dem Nichts kommender Versuch der Gegenseite, das mitten in der Verhandlung noch einmal in Zweifel zu ziehen, läuft komplett ins Leere. Ganz nebenbei ist die Klageberechtigung auch gut für die klamme Stadtkasse. Wäre Waltrop nicht berechtigt gewesen, dann wäre man auf den Anwaltskosten sitzen geblieben.
Das Urteil steht am Nachmittag fest, doch das OVG beeilt sich, in einer Pressemitteilung zu erklären, dass es nicht bedeutet, dass das Kraftwerk jetzt abgeschaltet werden muss. Es folgt noch die Klage gegen die immissionsschutzrechtliche Genehmigung, also die eigentliche Betriebserlaubnis, und die ist noch nicht einmal terminiert. Wenn man mit den Kraftwerksgegnern spricht, ist die Sache klar: Ein Kraftwerk, das kein Baurecht mehr hat, darf auch nicht mehr Strom produzieren. Das sei die einzig logische Konsequenz. In der Pressemitteilung des Gerichts liest sich das aber sehr viel zurückhaltender: „Welche Bedeutung die Unwirksamkeit des Bebauungsplans für die Rechtmäßigkeit dieser Genehmigungen hat, ist eine Rechtsfrage, über die der 8. Senat zu entscheiden haben wird.“ Erst einmal aber ist damit zu rechnen, dass die Unterlegenen sich nicht damit abfinden, dass keine Revision zugelassen wurde. „Revisions-Nichtzulassungsbeschwerde ist das Ungetüm-Wort für das Rechtsmittel, das ihnen noch zur Verfügung steht. Wie gesagt, das Ende fürs Kraftwerk bedeutet dieser Donnerstag noch nicht. Aber es ist ein großer Schritt in diese Richtung.
Umweltverband BUND
Am 26. und 27. August wird in Münster auch die Klage des Umweltverbandes BUND gegen den Bebauungsplan des Kohle-Kraftwerks Datteln 4 verhandelt. Für Dirk Jansen ist das nur der Auftakt.
von Fabian Hollenhorst, Dattelner Morgenpost, 30. Juli 2021
Die Argumente vom Umweltverband BUND sind nicht neu. Bereits 2006 haben die Naturschützer ihre Einwände eingereicht. Auf diesem Foto sieht man BUND-Geschäftsleiter Dirk Jansen (li.) und Dr. Thomas Krämerkämper, der für den BUND vor Ort gegen das Kraftwerk kämpft, im Dezember 2011 vor dem damaligen Kraftwerks-Neubau. © Stefan Huxel (Archiv)
Der Umweltverband BUND sei gerüstet für die beiden Verhandlungstage am 26. und 27. August in Münster – viel besser noch als bei den ersten Einwendungen im Jahr 2006 und 2007, sagt Dirk Jansen, Geschäftsleiter für Umwelt- und Naturschutzpolitik in der NRW-Landesgeschäftsstelle der Naturschützer. Und es soll nicht die letzte Verhandlung vor Gericht sein, die das Ziel verfolgt, dass Betreiber Uniper das Kraftwerk zurückbauen muss und es somit deutlich früher als zum geplanten Kohleausstieg 2038 vom Netz geht.
„Wir betreiben solche Klagen nicht aus Jux und Dollerei“, wird Dirk Jansen deutlich, „sondern weil wir klare Rechtsverstöße sehen.“ Und die hätten nach wie vor Bestand. Beim anstehenden Normenkontrollverfahren zum Bebauungsplan geht es natürlich um die Abstände zur angrenzenden Meistersiedlung. Aus BUND-Sicht wird durch den nicht eingehaltenen Mindestabstand die direkte Nachbarschaft noch deutlich höher von dem Emissionsausstoß von Datteln 4 belastet.
Und das Urteil gegen den B-Plan ist aus Sicht des Naturschutzbundes auch Richtungsweisend für die Immissionsschutzrechtliche Genehmigung des Kraftwerks. „Denn der Bebauungsplan ist die Grundlage dafür. Ohne ihn ist auch die Genehmigung futsch“, erklärt Jansen. Trotzdem sei die Verhandlung über den B-Plan „noch nicht das große Finale“.
„Wir haben juristisch schon unheimlich viel bewegt“, blickt Jansen auf die vergangenen 15 Jahre zurück, die der Naturschutzbund schon gegen die Kohle-Kraftwerke kämpft. Mehrfach habe man Datteln 4 gestoppt, aber die Politik habe die Interessen von Eon und später Uniper verfolgt, kritisiert Jansen. Er erinnert sich noch gut an die Mitte der 2000er-Jahre. 20 Kraftwerke sollten damals noch gebaut werden. Neben Datteln 4 und Trianel in Lünen waren das unter anderem Herne 5 oder eine Anlage in Krefeld. „Und die Betreiber sind uns heute immer noch dankbar, dass wir das verhindert haben“, sagt Jansen. Denn aus wirtschaftlicher Sicht seien sie schlichtweg nicht rentabel.
„Das Ding will keiner haben, weil es keiner braucht“, schimpft Dirk Jansen über die 1050-Megawatt-Anlage, „es ist machbar, ohne die Fernwärme-Versorgung zu gefährden, ohne dass eine Bahnlinie nicht mehr fahren kann und ohne dass es dunkel wird zu Hause.“ Die Fernwärme könnte aus seiner Sicht zum Beispiel jetzt schon komplett auf erneuerbare Energien umgestellt werden – der BUND fordert einen deutlich früheren Kohleausstieg bis 2030.
Die Klima-Bedenken des Naturschutzbundes sind seit nun mehr als 15 Jahren unverändert. Dass die breite Masse erst seit 2018 – im Zuge der Klima-Streiks von Greta Thunberg in Schweden und der daraus entstehenden Fridays-for-Future-Bewegung – auf den Klimaschutz-Zug aufgesprungen ist, stört Jansen nicht. „Es gibt immer Vorreiter solcher Bewegungen. Und das waren wir“, sagt er, „aber davon profitieren wir alle.“ Auch die jüngste Klima-Katastrophe im Zuge der Starkregen und Hochwasserereignisse sieht Dirk Jansen noch einmal als „Hallo-Wach-Effekt“ an. Viele Menschen würden nun begreifen, dass es an der Zeit ist, aktiv etwas zu tun. Ob Kanzlerkandidat Armin Laschet (CDU) einer davon ist, bezweifelt er. Er bezeichnet den Ministerpräsidenten als „obersten Klima-Sünder“, der in „beachtenswerter Art und Weise die Empfehlung der Kohle-Kommission missachtet hat.“
Bei einem Klage-Erfolg will der BUND auf die Zusicherung von Eon aus dem Jahr 2007 pochen, das Kraftwerk zurückzubauen, wenn eine Genehmigung endgültig gescheitert ist. „Vor Gericht und auf hoher See weiß man nie wo es langgeht“, sagt Jansen. Der Sekt würde zwar noch nicht kalt stehen, dennoch sei man optimistisch.
Klaus-Dieter Maubach ist seit Ende März im Amt. Er kündigt an, dass er die Entscheidung seiner Vorgänger, das Kohlekraftwerk in Betrieb zu nehmen, aber nicht kurzfristig revidieren werde.
von Jörn Tüffers, Dattelner Morgenpost, 26. Juli 2021
Der Chef des Energiekonzerns Uniper, Klaus-Dieter Maubach, hält einen früheren Kohleausstieg und das damit verbundene Abschalten von Datteln 4 für möglich. Wenn eine Bundesregierung sagt, dass sie über den Kohleausstieg noch mal neu sprechen wolle, dann sei das Unternehmen bereit, darüber zu sprechen, sagte der Manager, der seit März im Amt ist, in einem Interview mit dem Handelsblatt. Dies sei aber eine Frage der Kompensation, sprich: wie viel Geld die Bundesregierung Uniper dafür zahlen würde.
Maubach kündigte in dem Gespräch aber auch an, dass er den Beschluss seiner Vorgänger, das umstrittene Kohlekraftwerk in Betrieb zu nehmen, nicht revidieren werde. Es sei „nahezu vollständig an unsere Kunden vermarktet. Wir haben langfristige Verträge geschlossen und damit langfristige Verpflichtungen. Das Kohleausstiegsdatum ist spätestens das Jahr 2038. Unsere Verpflichtungen, den Strom auch zu liefern, werden wir einhalten“, unterstrich der Manager im Gespräch.
Zunächst aber mache er sich darüber Gedanken, was bis 2030 ist. Maubach möchte bis 2030 die CO2-Emissionen von Uniper halbieren. In dieser Kalkulation sei Datteln 4 ein wichtiges Kraftwerk, was nach wie vor CO2 emittieren werde: „Es ist das jüngste und effizienteste Steinkohlekraftwerk und wird daher sinnvollerweise als letztes vom Netz gehen.“
Rainer Köster (73) und Frank Thiele (69) blicken auf einen langen Kampf gegen das Kraftwerk Datteln 4 zurück. Sie haben gefeiert und wieder getrauert – jetzt soll Recht gesprochen werden.
von Fabian Hollenhorst, Datteln / 16.07.2021
Am 26. und 27. August werden die Klagen gegen den Bebauungsplan der Stadt Datteln für das Uniper-Kohlekraftwerk Datteln 4 in einem Normenkontrollverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster verhandelt. Gegen die Stadt Datteln klagen die Stadt Waltrop, der Umweltverband BUND sowie vier Privatpersonen der für den Protest gegen den Kohlemeiler ins Leben gerufenen IG Meistersiedlung. Zwei davon sind Rainer Köster (73) und Frank Thiele (69).
Im Jahr 2009 haben die beiden Dattelner noch gefeiert, als das Münsteraner Gericht den Bebauungsplan der Stadt Datteln gekippt hatte. So auch im Januar 2019, als die von der Bundesregierung initiierte Kohlekommission die Empfehlung ausgesprochen hatte, das Kraftwerk Datteln 4 – das letzte noch in Bau befindliche Kohlekraftwerk in Deutschland – nicht ans Netz gehen zu lassen. Die Freudentänze hielten nie lange an. Es folgten Trauer und die Erkenntnis, dass auf vielen politischen und behördlichen Ebenen bis hin zur Bundesregierung ein Interesse besteht, den Kohlemeiler in Datteln in Betrieb zu nehmen.
„Dass da solche Tricks aufgeboten wurden, um das hier zu ermöglichen….“, sagt Rainer Köster kopfschüttelnd beim Blick auf den 180 Meter hohen Kühlturm. Auch am Freitag stieg dort wieder dichter, dunkler Dampf empor. „Hier wird Recht missachtet“, sagt Köster. Davon ist der pensionierte Polizist weiterhin so überzeugt wie vor zwölf Jahren, als er die IG Meistersiedlung ins Leben gerufen hat. Sein Mitstreiter Frank Thiele ist quasi direkter Nachbar von Uniper. Die 1100 Megawatt-Anlage ist das erste, was er morgens beim Blick aus seinem Schlafzimmerfenster sieht. Und wenn im Osten die Sonne aufgeht, hat sie es in den Morgenstunden schwer, gegen die Schwaden anzukämpfen, die das Kohlekraftwerk spätestens seit der Inbetriebnahme im Mai 2020 ausstößt. „Der Schattenwurf ist schon deutlich zu sehen, am Anfang dachte ich, ich habe etwas mit den Augen“, sagt Thiele.
Knapp 500 Meter entfernt wohnt Frank Thiele vom Kraftwerksbau, mit dem das Energieunternehmen E.ON im Jahr 2007 begonnen hatte. Und genau diesen Umstand beklagen die beiden Dattelner, ebenso wie zwei weitere Privatpersonen, der BUND und die Stadt Waltrop. Denn laut Abstandserlass muss das Kraftwerk mindestens 1500 Meter von Wohnbebauungen entfernt stehen. Und überhaupt war der Plan für das Kraftwerk Datteln 4 Mitte der 2000e- Jahre ein ganz anderer: Ursprünglich sollte es knapp fünf Kilometer weiter entfernt in den Rieselfeldern zwischen Datteln und Waltrop entstehen. So war es auch im Landesentwicklungsplan verankert.
Im Jahr 2009 sahen die Richter am Oberverwaltungsgericht Münster das ebenso und gaben der Klage der Waltroper Landwirte-Familie Greiwing statt. Doch der erwirkte Baustopp sollte nicht lange anhalten. Denn die damalige rot-grüne Landesregierung passte den Entwicklungsplan kurzerhand an, legitimierte den Bau an der dafür nicht vorgesehenen Stelle und ließ E.ON weiterbauen. „Das ist eine komische Art, etwas zu rechtfertigen“, bilanziert Rainer Köster, „im Grunde genommen geht es hier nur ums Geld.“ Denn der jetzige Standort hatte für das Energieunternehmen erhebliche Vorteile. Direkt am Kanal sowie im Schatten der Altkraftwerksblöcke Datteln 1-3 war ein großer Teil der Infrastruktur für den 1100-Megawatt-Koloss schon vorhanden.
„Wenn man den ehemaligen Bürgermeister (Anm. d. Red.: Wolfgang Werner) hört, dann war ihm das scheißegal“, findet Frank Thiele deutliche Worte in Richtung Stadt Datteln. Denn wer, wenn nicht die Lokalpolitik vor Ort, sollte sich schließlich um die Interessen der Anwohner kümmern, wenn etwas unrechtmäßig erbaut wird, fragt er sich. Köster ergänzt: „Die Kraftwerksbauer von E.ON wussten genau, was sie hier machen.“ Die Stadt Datteln wohl aber nicht, da sind sich beide Kläger einig. „Mit dem Kraftwerk habe ich den Glauben an die Lokalpolitik verloren“, lautet das persönliche Urteil von Frank Thiele. Mit Demokratie habe der gesamte Prozess nicht viel zu tun, eher mit Lobbyismus.
Doch warum führen die beiden Privatpersonen zusammen mit der gesamten IG Meistersiedlung seit nunmehr zwölf Jahren diesen scheinbar aussichtslosen Kampf gegen Energieunternehmen, Politik und Verwaltung? „Weil es unrechtmäßig ist“, wird Rainer Köster deutlich. Ihm ist bewusst, dass mit dem Kohleausstieg 2038 die Zeit von Datteln 4 endlich ist. Die Verantwortlichen will er damit aber nicht so einfach davon kommen lassen. Einen fünfstelligen Betrag und eine Menge Freizeit haben die Kraftwerksgegner in den vergangenen Jahren für ihre Werte geopfert. Durch Mitgliederbeiträge finanziert sich die Interessengemeinschaft. Seit 2020 werden sie finanziell und materiell auch von der gemeinnützigen Organisation „Client Earth“ unterstützt, die die gerichtliche Aufarbeitung von „dringenden Umweltproblemen“ auf der ganzen Welt unterstützen. „Ohne diese Unterstützung wäre es langsam wirklich schwierig geworden“, sagt Thiele, „wir wissen auch noch nicht, was noch für Kosten auf uns zukommen.“
Die große öffentliche Wirkung hatte der Protest der Meistersiedlung dabei über lange Jahre nicht. „Wir haben Flugblätter vor Danielsmeier verteilt. Die wurden uns vor die Füße geworfen“, sagt Thiele. Auch an Schulen hatten sie nie Erfolg. „Erst als Greta (Anm. d. Red. Thunberg) gekommen ist, sind die aufgewacht“, sagt Köster. Die schwedische Klimaaktivistin habe bei der jüngeren Generation ein Umweltbewusstsein geschaffen. „Das spielt uns natürlich in die Karten“, sagt er. Bewusst haben sich die älteren Kraftwerksgegner bei den zahlreichen Klimaprotesten gegen Datteln 4 zurückgehalten. „Es ist an dieser Generation, ihr eigenes Jahrhundert zu gestalten.“
Beide Kläger glauben fest daran, mit dem Urteil am 27. August in Münster Recht zu bekommen. Dann soll gefeiert werden – dieses Mal ohne anschließende Rückkehr zur Trauer.
Neuer Chef zu Gesprächen bereit
Datteln 4 könnte schon vor 2038 vom Netz gehen. Vorausgesetzt der Preis stimmt …
Von Uwe Wallkötter, Dattelner Morgenpost, 18. Mai 2021
Datteln. Der Energiekonzern Uniper schließt eine frühere Stilllegung des umstrittenen Kohlenmeilers Datteln 4 nicht aus. Das macht der neue Uniper-Vorstandschef Klaus-Dieter Maubach in seinem vorab veröffentlichten Redetext zur Uniper-Hauptversammlung deutlich, die am Mittwoch stattfinden wird. Wesentliche Bedingungen für ein Ende der Kohleverstromung in Datteln schon vor dem Jahr 2038 dürfte eine entsprechende Entschädigungszahlung an Uniper sein. Nach dem Motto: Wenn der Preis stimmt …
Das neue Klimagesetz erhöht natürlich den Druck auf Betreiber von Kohlekraftwerken. Nach dem neuen Klimagesetz will die Bundesregierung die Anstrengungen für eine Reduzierung des CO2-Ausstoßes verstärken. Es sieht bis 2030 eine Kürzung des Treibhausgas-Ausstoßes um mindestens 65 Prozent im Vergleich zu 1990 vor. Uniper zeigt sich entsprechend offen für Gespräche über eine frühere Stilllegung von Datteln 4.
„Wir haben den Zeitplan beschleunigt und werden in Deutschland bis 2025 aus der Steinkohleverstromung ausgestiegen sein – mit Ausnahme von Datteln 4. Das Betriebsende von Datteln 4 im Jahre 2038 steht synonym für das Ende der Verstromung von Kohle in Deutschland – dass Datteln 4 so zum Symbol für den deutschen Kohleausstieg geworden ist, ist uns bei Uniper bewusst,“ erklärt der Uniper-Chef. Gleichwohl werde der Konzern dieses moderne Kraftwerk betreiben, solange dies wirtschaftlich möglich ist und solange ein deutscher Gesetzgeber dies gestattet.
Maubach weiter: „Sollten zukünftige Bundesregierungen den bis 2038 zu vollziehenden Kohleausstieg beschleunigen wollen, sind wir zu lösungsorientierten Gesprächen jederzeit bereit, um einen fairen Interessenausgleich zu finden.“ Dieser Interessenausgleich müsse eine technisch mögliche und wirtschaftlich wettbewerbsfähige Perspektive für aus Datteln 4 mit Fernwärme bzw. mit Bahnstrom versorgten Kunden vorsehen und er müsse die Belange der Beschäftigten vor Ort berücksichtigen. „Und er muss eben auch eine angemessene finanzielle Kompensation für eine frühere Stilllegung von Datteln 4 beinhalten.“ Auch dürfe der Druck des finnischen Uniper-Mehrheitsanteilseigners Fortum eine Rolle spielen, der Datteln 4 als Symbol für den Kohleausstieg offenbar auch loswerden will.
Düsseldorf (Reuters) - Der Energiekonzern Uniper hat sich grundsätzlich zu Gesprächen über eine frühere Stilllegung seines umstrittenen Kohlekraftwerks Datteln 4 bereiterklärt.
“Sollten zukünftige Bundesregierungen den bis 2038 zu vollziehenden Kohleausstieg beschleunigen wollen, sind wir zu lösungsorientierten Gesprächen jederzeit bereit, um einen fairen Interessenausgleich zu finden”, erklärte der neue Uniper-Vorstandschef Klaus-Dieter Maubach in seinen am Mittwochabend vorab veröffentlichten Redetext zur Hauptversammlung in der kommenden Woche. Das Betriebsende von Datteln 4 2038 stehe synonym für das Ende der Verstromung von Kohle in Deutschland. Uniper sei sich bewusst, dass Datteln 4 zum Symbol für den deutschen Kohleausstieg geworden sei.
Uniper werde den erst vor einem Jahr in Betrieb genommenen 1100-Megawatt-Block betreiben, solange dies wirtschaftlich möglich ist und solange ein deutscher Gesetzgeber dies gestatte, betonte Maubach. Für einen früheren Zeitpunkt müsse es einen Interessenausgleich geben, der eine technisch mögliche und wirtschaftlich wettbewerbsfähige Perspektive für die aus Datteln 4 mit Fernwärme beziehungsweise mit Bahnstrom versorgten Kunden vorsehe, sagte Maubach. Zudem müssten die Belange der Beschäftigten vor Ort berücksichtigt werden und er müsse eine angemessene finanzielle Kompensation beinhalten.
Nach dem neuen Klimagesetz will die Bundesregierung die Anstrengungen für eine Reduzierung des CO2-Ausstoßes verstärken. Es sieht bis 2030 eine Kürzung des Treibhausgas-Ausstoßes um mindestens 65 Prozent im Vergleich zu 1990 vor. Bisher betrug die Vorgabe 55 Prozent. Dies dürfte den Druck auch auf die Betreiber von Kohlkekraftwerken wie Uniper und RWE erhöhen, ihre Ausstiegstrategie zu beschleunigen, Umweltschützern geht der geplante Ausstieg bis 2038 nicht schnell genug. Auch immer mehr Investoren machen sich dafür stark. Uniper hat zudem mit dem finnischen Versorger Fortum einen Mutterkonzern, der sich mehr Klimaschutz auf die Fahnen geschrieben hat.
Datteln 4 soll Montag wieder dampfen
DATTELN/WALTROP. Sechs Wochen war der Meiler vom Netz.
Von Martin Behr, Uwe Wallkötter und Markus Weßling, Dattelner Morgenpost, 4. Dezember 2020
Was ist los mit dem Kohlenmeiler Datteln 4? Diese Frage stellen sich seit Wochen viele Dattelner. Es mehrten sich schon Gerüchte, dass etwas defekt sei bei Datteln 4, denn Dampfschwaden kamen schon lange nicht mehr aus dem Kühlturm des umstrittenen Kohlekraftwerks. Deswegen erzeugte die kürzlich getroffene Aussage von Uniper-Vorstandschef Andreas Schierenbeck bei vielen auch ungläubiges Staunen. Er sprach davon, durchaus zufrieden mit der Entwicklung des Kohle-Meilers in Datteln zu sein, das Kraftwerk sei weitaus besser verfügbar als in der Startphase erwartet. Nun zeichnet sich das Ende des Stillstands ab. Wie Uniper-Sprecherin Ilona Flechtner auf Anfrage erklärte, soll Datteln 4 ab Montag wieder Strom produzieren.
Den Gerüchten über einen Defekt im Kraftwerk widerspricht sie. Der Produktionsstopp sei geplant gewesen, um Nachjustierungen am Meiler vorzunehmen. Ein durchaus übliches Vorgehen nach der Inbetriebnahme, betont die Sprecherin weiter. Unter anderem habe es Arbeiten an den Brennern gegeben. Prozesse seien digitalisiert worden, um im laufenden Betrieb weniger CO2 zu erzeugen. Uniper habe sich angesichts der Stillstandsphase entschlossen, noch einige Arbeiten, die zu einem späteren Zeitpunkt geplant waren, vorzuziehen. Coronabedingt sei es bei der Beschaffung von Ersatzteilen zu Verzögerungen gekommen – daher die längere Pause, erklärt Ilona Flechtner.
Umweltbelastung steigt mit Datteln 4
CO2-Ausstoß von Betreiber Uniper höher als 2019 – BUND geschockt
Von Fabian Hollenhorst, Dattelner Morgenpost, 20. November 2020
Datteln. Zahlreiche Branchen und Unternehmen haben es in der derzeitigen Corona-Krise schwer. Nicht so der Energiekonzern Uniper, der das Steinkohle-Kraftwerk Datteln 4 betreibt. Innerhalb der ersten neun Monate 2020 verbuchte Uniper 405 Millionen Euro Gewinn ohne Berücksichtigung von Steuern und Zinsen - fast das Doppelte des Vorjahrsergebnisses. Und Uniper-Vorstandschef Andreas Schierenbeck zeigte sich bei der Präsentation der Zahlen durchaus zufrieden mit der Entwicklung des Kohle-Meilers in Datteln, der im Mai ans Netz gegangen ist. Dabei hat das Kraftwerk laut Angaben der Bundesnetzagentur bislang im November noch an keinem Tag Strom produziert – es herrscht wieder Stillstand.
Ähnlich sah es über weite Strecken des Septembers aus, als Datteln 4 an weniger Tagen produzierte als es stillstand. Den gesamten Oktober über lief der Betrieb dann konstant, wenn auch nur selten unter Vollast. Andreas Schierenbeck gibt im Zuge der Quartalszahlen aber bekannt, Uniper habe inzwischen eine gute Menge Strom aus Datteln verkauft. Das Kraftwerk sei durchaus besser verfügbar als in der Startphase erwartet, heißt es. Aussagen, die Dr. Thomas Krämerkämper, Experte aus dem Landesvorstand des Umweltverbandes BUND, im Bezug auf die geringen Produktionstage nicht nachvollziehen kann. Denn entgegen jahrelanger Versprechen, für Datteln 4 würden ältere Uniper-Kraftwerke vom Netz gehen, produziert die Anlage in Gelsenkirchen-Scholven bereits das ganze Jahr 2020 nahezu unter Vollast Strom – anders als Datteln 4.
Das umstrittene Steinkohle-Kraftwerk Datteln 4 ging erst in diesem Jahr ans Netz. Nach dem beschlossenen Kohleausstieg steht fest: spätestens 2038 ist Schluss. So lange will Uniper den Betrieb aber aufrecht halten. © Jörg Gutzeit
Indes hat die Inbetriebnahme des umstrittenen Kraftwerks in Datteln direkte Auswirkungen auf den deutschlandweiten Kohlendioxid-Ausstoß von Uniper, wie Schierenbeck bestätigt. In den ersten neun Monaten des Jahres war die CO2-Belastung von 7,9 auf 8,2 Millionen Tonnen gestiegen. „Das ist erschreckend“, urteilt Thomas Krämerkämper, „wenn der Emissionsausstoß trotz der Corona-Effekte ansteigt, ist davon auszugehen, dass die Umweltbelastung unter normalen Bedingungen noch größer ausgefallen wäre.“ Denn laut Krämerkämper ist davon auszugehen, dass die Deutsche Bahn als Großkunde deutlich weniger Strom von Uniper abnehme, da weniger Züge fahren.
Bis 2035 will Uniper klimaneutral sein. Ein Trend dahin ist derweil nur weltweit zu erkennen. Hier sanken die CO2-Emissionen von 34,4 auf 30,1 Millionen Tonnen. Das sei Folge der geringeren Stromproduktion in Russland und Großbritannien, heißt es.
Mehr Stillstand als Produktion
DATTELN. Das Kohlekraftwerk Datteln 4 war im September nur wenige Tage am Netz.
Von Uwe Wallkötter, Dattelner Morgenpost, 29. September 2020
Die offizielle Inbetriebnahme des umstrittenen Kohlekraftwerks Datteln 4 am 30. Mai war begleitet von einer großen Demonstration von Klima-Aktivisten. Seitdem sind die Proteste weniger und kleiner geworden. Aber nicht nur vor den Wrrkstoren ist es relativ ruhig, sondern auch dahinter. Datteln 4 hat im September mehr Stillstand gehabt als Produktionstage. „Es ist aber alles im grünen Bereich“, lässt Uniper-Sprecherin Ilona Flechtner auf Anfrage wissen.
Tatsächlich lag die Stromproduktion im Dattelner Kohlenmeiler vom 29. August bis zum 7. September bei Null. Vom 8. bis 16. September produzierte Uniper Strom, allerdings lag die Kapazität mit rund 600 MW deutlich unter der möglichen Volllast von 1055 MW. Vom 17. bis zum 27. September gab es eine erneute Stillstandsphase. Am Montag wurde die Anlage wieder hochgefahren, sagt Ilona Flechtner.
Uniper schweigt zu den Verträgen
Zu den Gründen für die langen Produktionspausen befragt, betont Flechtner, Datteln 4 arbeite nach Kundenaufträgen. Zudem müsse nach der Inbetriebnahme immer mal wieder geprüft und gemessen werden. Dafür gebe es feste Termine. „Alles läuft nach Plan.“ Großkunden sind bekanntlich RWE und Deutsche Bahn – und beide seien darüber bekanntlich nicht besonders glücklich. Die teuren Abnahmeverträge sind viele Jahre alt. Und die Bahn will bis 2038 klimaneutral sein, der Kohlestrom schadet folglich dem Image. Nach Angaben des Naturschutzbundes BUND hat Uniper feste Abnahmeverträge mit RWE und der Deutschen Bahn über insgesamt 863 der 1055 Megawatt installierter Leistung. Trotzdem wird seit Mai nur an wenigen Tagen diese Menge in Datteln produziert. Die Bahn ist zwar verpfkichtet, entsprechend der Verträge Strom abzunehmen. Ob das zwingend Strom aus Datteln sein muss oder ob sich die Bahn aus dem gesamten Energieportfolio von Uniper (u. a. Wasserkraftwerke) bedienen kann, ließ Ilona Flechtner offen. Man werde sich öffentlich grundsätzlich nicht zu Verträgen mit Kunden bzw. zu deren Inhalten äußern, betont Flechtner.
Die Versorgung von Datteln mit Fernwärme sei aber unabhängig vom Produktionsstatus von Datteln 4 gesichert, sagt Ilona Flechtner weiter mit dem Verweis auf die Hilfskessel.