Besucherstroeme oder Gaestelenkung

Besucherströme oder Gästelenkung

10.04.2023


Der Frühling naht. Milde Temperaturen locken die Menschen aus dem Ruhrgebiet in die angrenzenden Naherholungsgebiete, so auch in die Lippeaue bei Ahsen, die nicht nur in den stillen Wintermonaten Ruhe und Besinnlichkeit ausstrahlt.


Auf und rund um Haus Vogelsang planen die Haus Vogelsang Stiftung, der Verein „2Stromland“ und die Landschaftsagentur Plus, eine Außenstelle der „Internationalen Gartenausstellung 2027“ (IGA) aufzubauen. Der Antrag ist gestellt: Ziel ist eine Landschaft in Balance, die Verträglichkeit zwischen Mensch und Natur. Vertreter der drei genannten Organisationen hatten die Spitzen der im Dattelner Rat vertretenen Fraktionen nach Ahsen eingeladen, um zu informieren über ihre Pläne, wie sie und damit wir in Datteln von den großzügigen Fördergeldern profitieren können, die im Zuge des international beachteten Projektes IGA in die Region fließen.


In einem offenen Gespräch fanden auf der einen Seite – aufgeschreckt durch den vom Geschäftsführer der Haus Vogelsang Stiftung benutzten Begriff „Besucherströme“ - die Befürchtungen der Kritiker Gehör, auf der anderen Seite stand das Eingeständnis der Projektleitung, in der Vergangenheit Fehler gemacht zu haben. Stiftung und Verein versprachen, aus diesen Fehlern zu lernen und den Landschaftsraum Lippe jetzt so zu gestalten, dass - trotz der anhaltend großen Besucherzahl - Nachhaltigkeit, Artenschutz und Biodiversität zu ihrem Recht kommen.


In unserer Nachbarschaft, dem Grenzgebiet zwischen Recklinghausen-Suderwich (Brandheide) und Castrop-Rauxel-Henrichenburg (Emscherdüker), ist deutlich zu sehen, dass wir mit Riesenschritten dem Jahr 2027 entgegen gehen, dem Jahr der IGA im Ruhrgebiet. Dort lässt die recht fortgeschrittene Baumaßnahme bereits erahnen, welche Dimensionen die Ausstellung annehmen wird. (Selbst unser Bundeskanzler Olaf Scholz ist schon vorbeigekommen, um den Stand der Dinge zu begutachten.) Mit dem Emschersprung ist zudem eine moderne Brücke über die Emscher geschaffen worden, die dauerhaft an das Großereignis erinnern wird.

Der Sprung von der Emscher an die Lippe


Wer aber den Sprung über die Emscher denkt, sollte auch die autofreie Verbindung zwischen Emscherland und Lippeaue, den Sprung zwischen Emscher und Lippe, mitdenken. Schon 2003 haben die Macher der grenzüberschreitenden Landesgartenschau in Gronau (D) und Losser (NL) eine autofreie Verbindung zwischen den beiden 7 Kilometer entfernten Bereichen geschaffen. Leider ist diese Idee in den Köpfen der Planer hier vor Ort überhaupt noch nicht angekommen. Alle Hinweise, die in diese Richtung zielen, stoßen bisher auf überraschte Reaktionen und zögerliche, unverbindliche und ausweichende Ausflüchte.


„Experimentierraum für die Landschaft der Zukunft“


Die ursprüngliche Konzeption des „Experiments Haus Vogelsang“ stieß bei Umweltverbänden und Naturschützern auf Entrüstung und Ablehnung. Denn man befürchtet lärmende Besucherströme in das geschützte, Ruhe ausstrahlende FFH-Gebiet Lippeauen und eine massive Bedrohung der seltenen und geschützten Tier- und Pflanzenarten in diesem Natura2000-Natursschutzgebiet.


In unserem Gespräch mit Ewald Steinmann von der Stiftung und Nicole Büsing von der Landschaftsagentur konnten sie verdeutlichen, dass Stiftung, Landschaftsagentur und Verein sich indessen als lernfähig erwiesen haben: Zahlreiche Nachbesserungen und Veränderungen am ersten Planungsentwurf lassen das Projekt unterdessen in einem günstigeren Licht erscheinen. Es trägt jetzt den Titel „Experimentierraum für die Landschaft der Zukunft“.


Wir sollten diese Vision von Stiftung und Verein nicht ideologisch, sondern pragmatisch unter die Lupe nehmen. Zur Zeit real existierende Missstände sind zu benennen, der bereits – wegen der Attraktivität der Lippeaue – bestehende Besucherdruck ist nicht wegzudiskutieren, eine Nachnutzung des denkmalgeschützten Ensembles von Haus Vogelsang ist aus heimatgeschichtlicher Sicht unbedingt anzustreben, um dessen Verfall zu verhindern, die vorgesehenen Maßnahmen zur Besucherlenkung sind auf ihre Effizienz hin zu überprüfen.


Angestrebtes Ziel der Neugestaltung: die Verträglichkeit von Mensch und Natur


Als Fluss soll die Lippe nur an wenigen Stellen für die neugierigen Besucher*innen zugänglich gemacht werden: Unter dem Stichwort „Besucherlenkung“ sind jetzt vorgesehen:

  • die Beseitigung bestehender Missstände,
  • die Verhinderung des unbewussten Eindringens, Betretens und Begehens von sensiblen und geschützten Bereichen,
  • die Empfehlung von ausgewiesenen barrierefreien Wander- und Radwegen (in Verbindung mit dem Hohe Mark Steig)
  • die Schaffung eines Leitsystems, das die Natur nicht stört,
  • die Beibehaltung eines Systems von nicht gepflasterten und nicht asphaltierten Wegen,
  • der Rückbau von Stichwegen an den Fluss, die Beseitigung alles Sackgassen,
  • der Wegfall von Flussstränden,
  • die Umsetzung von Aussichtsplattformen an geeigneter Standorte,
  • die ersatzlose Streichung der Lippequerung für Fußgänger von Datteln nach Olfen,
  • die extensive Beweidung großer eingezäunter Auenflächen,
  • Rückbau der für Trubel und Rummel, der für laute Parties attraktiven Räume und Plätze in Flussnähe,
  • die Schulung und Sensibilisierung der interessierten Spaziergänger und Radfahrer durch Informationen, Präsentationen und geführte Besichtigungen.


Akademie für Umweltbildung


Haus Vogelsang und den dazugehörenden denkmalgeschützten Gebäuden wird in diesem Konzept eine zentrale Rolle zugewiesen: einerseits soll ein Ankunftsort mit kleinem Café und Toiletten für die Besuchergruppen entstehen, andererseits eine Akademie für Umweltbildung, d.h. ein ökologisches Zentrum für Tagungen rund um die Themen Nachhaltigkeit, Natur- und Artenschutz mit angeschlossenem Gästehaus für die Teilnehmer. Die Bildungseinrichtung ist insbesondere gedacht für Menschen und Gruppen,

- die sich der Idee der Nachhaltigkeit und

- den Zielen des Natur- und Artenschutzes verpflichtet fühlen,

- die die Stille und Besinnlichkeit der Lippeaue schätzen und erfahren wollen,

- die die Reize und Schönheit der Lippelandschaft bewahren und nicht zerstören wollen.

Eine Machbarkeitsstudie, angefertigt vom Düsseldorfer Planungsbüro Koenzen, hat aufgezeigt, dass dies gelingen kann. Wegen der knappen materiellen und finanziellen Ausstattung der Eigentümerin und des Trägervereins wird die Realisierung einer dauerhaften und nachhaltigen Lösung höchstwahrscheinlich ohne öffentliche Förderung nicht gelingen.


Fazit: Oase der Ruhe und Besinnlichkeit?


Auch wir wollen, dass all dies funktioniert. Wir wünschen uns,

  • dass sich einerseits Flora und Fauna im Bereich der 150 Hektar Land, die dem Naturschutz zur Verfügung stehen, ungestört weiterentwickeln können,
  • dass andererseits die Menschen die Ruhe und Besinnlichkeit des Raums Lippeauen erfahren mögen,
  • dass die durch den Lippeverband neu geschaffenen Rückzugsorte für seltene Tiere und Pflanzen nicht wieder zerstört werden,
  • dass es den Planern der Landschaftsagentur Plus gelingt, die neugierigen Menschen zu sensibilisieren, sie durch geeignete Maßnahme auf Wege zu lenken, auf denen sie die Reize und Schönheiten der Natur erfahren, ohne sie dabei zu zerstören.


Sie locken die Besucher an - und sie halten sie von sensiblen Bereichen fern: die Aubrac Rinder und die Störche.


Jetzt lesen:


In der Reihe "Perlen der Stadt" gibt es zwei Berichte über  Haus Vogelsang  und das  Naturschutzgebiet Lippeaue.


Eine der Radtouren führt in den Bereich der Lippeaue rund um Haus Vogelsang:  Nord, Nord, Nordwest


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